Silke und Micha in Chile

Dienstag, 10. Oktober 2006

Jumbo, Easy und der Kauf einer Regalrückwand

Nachdem wir uns in unserer neuen Wohnung inzwischen recht gut eingerichtet haben - ja die meisten Umzugskisten sind schon ausgepackt und eingeräumt - machte sich Micha diese Woche auf die Suche nach einer Rückwand für unser großes Bücherregal. Diese war in Deutschland beim Zerlegen des Regals an einigen Stellen eingerissen und wir hatten sie deshalb gar nicht erst mit nach Chile gebracht. Ohne die dünne Sperrholzplatte steht das Regal aber nicht besonders stabil und bei der Menge an Büchern, die da hinein gestellt werden sollen ist es sicher besser eine neue Rückwand zu besorgen.
Zum Glück gibt es in Santiago große Baumärkte, die so ziemlich alles an Werkzeug und Material für den enthusiastischen Heimwerker bereithalten. Micha fuhr also mit der Metro direkt nach der Arbeit von seinem Büro aus ein Stück nach Süden, wo wir schon einige Male bei JUMBO, einem riesigen Supermarkt nach US-amerikanischem Vorbild einkaufen waren. Allein in Santiago gibt es davon fast ein Dutzend und auch in allen größeren Städten des Landes ist diese Kette vertreten. Meist wirkt das Gebäude schon von außen riesig, aber auch innen ist alles in JUMBO-Größe. Das Unternehmen wurde von einem Deutschen gegründet und dementsprechend findet man im Sortiment sogar viele europäische Produkte (Ritter Sport und Lindt Schokolade, Haribo, ein paar Maggi-Produkte, deutsches Bier etc.). Wenn man sich in den Gängen noch nicht so gut auskennt oder sich aufgrund der immensen Produktpalette nicht so recht entscheiden kann, lassen sich hier gut und gerne einige Stunden verbringen. Gut, dass die Supermärkte in Chile von 9:00 bis 22:30 Uhr geöffnet haben...
Generell scheinen die meisten Chilenen nach Feierabend oder am Wochenende einzukaufen. Mit hoch aufgetürmten Einkaufswägen schiebt man sich dann zwischen den Regalen hindurch, stellt sich an die Wurst- oder Fleischtheke, wo man immer erst eine Nummer ziehen muss, um bedient zu werden oder lässt sich das selbst eingetütete Brot bzw. Obst und Gemüse von einem speziellen Mitarbeiter abwiegen und mit einem Preisetikett versehen. Interessant ist die Praxis der Chilenen Joghurt- oder Puddingbecher, die meist in 2er oder 4er Packs gekauft werden, seitlich an das Gitter des Einkaufswagens zu hängen (ein Becherchen außen, eines innen). So wird die Verpackung nicht gequetscht; zumindest solange man den Einkaufswagen nicht seitlich gegen ein Regal fährt.
Samstags und sonntags sind die Supermärkte brechend voll und man steht an einer der 50 Kassen schon mal längere Zeit an. Dies liegt zum einen an der nicht besonders schnellen Art der chilenischen Kassiererinnen, die die Waren eher gemütlich über den Scanner ziehen und zum anderen an der Tatsache, dass anschließend alles in zig Plastiktüten gepackt werden muss. Meist erledigt diesen Job eine junge Hilfskraft, die die Produkte nach einem sehr komplexen System in Tüten packt. So kommt Seife, Zahlpasta etc. niemals mit Lebensmitteln in eine Tüte; Fleisch und Obst (ist zwar alles noch mal extra verpackt) wird auch getrennt...
Klar, das so schon für ein paar Produkte etliche Tüten mit meist nur 2-4 Artikeln anfallen und selbst wenn man dem Einpacker vorher sagt, dass man nur eine Tüte möchte, verpackt er erstmal alles getrennt und steckt zum Schluss alle Plastiktüten in eine weitere Tüte. Vorteil des Ganzen: Man wird wohl nie in die Verlegenheit kommen Müllbeutel kaufen zu müssen...
Highlight ist dann der Bezahlvorgang. Zunächst wird man gefragt, ob man eine "tarjeta" der jeweiligen Ladenkette hat. Man kann damit Punkte sammeln und bekommt Rabatt. Anschließend muss man eine Zahlungsart wählen. Am einfachsten natürlich "en efectivo" (=bar), etwas komplizierter und langwieriger wird das schon mit den von Chilenen auch für kleinste Beträge gerne benutzten "tarjetas de crédito". Die Krönung sind aber die Ratenzahlungen per Scheck. Stellt man dabei doch drei Einzelschecks aus, die jeweils geprüft, verbucht und unterschrieben werden und die vom Supermarkt in Monatsabständen eingelöst werden. Damit treibt man die hinter einem in der Schlange wartenden (europäischen) Kunden definitiv zur Weißglut.
Ist der zu zahlende Betrag in Pesos nicht durch 5 teilbar, so wird man gefragt, ob man die fehlenden Pesos bis zum nächsten 5-er Vielfachen einem guten Zweck (z.B. dem Hogar de Cristo) spenden will - die winzigen Ein-Peso-Stücke sind sonst auch zu nicht viel zu gebrauchen. Durch die vielen Einkäufe kommen da in den großen Supermärkten im Monat einige 1000 Euro zusammen.
Den nicht mehr gebrauchten Einkaufswagen lässt man einfach an der Kasse oder auf dem Parkplatz stehen, wo er von einem Mitarbeiter des Supermarktes aufgesammelt wird. Ein Chipsystem wie in Deutschland gibt es nicht.
Nachtrag: Silke geht inzwischen immer samstags ab 8:30 Uhr einkaufen, da schlafen die meisten Chilenen noch und die Supermärkte sind leer.

Doch nun zurück zum eigentlichen Thema - unsere Regal-Rückwand:
Im Untergeschoß des JUMBO befindet sich ein EASY-Baumarkt. Es scheint, dass diese beiden Firmen irgendwie zusammenarbeiten, denn oft trifft man Filialen beider Unternehmen in einem Gebäude sogar mit gemeinsamem Parkhaus. Nachdem wir auch hier schon einmal zuvor waren um einige Kleinigkeiten für den Einzug in die neue Wohnung zu kaufen, wusste Micha, dass es dort auch eine große Holzabteilung gibt. Tatsächlich fand er schnell eine mit Furnier beschichtete Platte, so etwa in der Größe 2,2mx1,5m und genau wie in Deutschland kann man sich diese hier zuschneiden lassen. Micha ging also mit den Maßen zu einem Verkäufer und erklärte diesem mit wenigen Brocken Spanisch, wie der Zuschnitt gesägt werden sollte. Der Verkäufer meinte dann, dass Micha aber die ganze Platte kaufen und bezahlen müsse, da nur ganze, halbe und viertel Platten abgerechnet würden. Auf Michas Einwand, dass das Stück, das er haben wolle, ja kleiner als eine halbe Platte wäre, erwiderte der Verkäufer, dass er dann das gewünschte Stück um 90 Grad gedreht schneiden müsse, da sonst kein Rechteck mit halber Fläche übrig wäre. Da dann aber die Maserung quer statt längs verläuft und das selbst auf einer Regalrückwand nicht besonders gut aussieht, entschied Micha notgedrungen die ganze Platte zu kaufen.
Er bekam einen Materialschein und musste erstmal an der Kasse bezahlen. Also quer durch den Baumarkt, warten an der Kasse, bezahlen und wieder zurück in die Holzabteilung. Erst nach Kontrolle des Kassenbons holte der Verkäufer von vorher eine der Holzplatten und sägte diese in 3 rechteckige Teile. Das größte davon mit den gewünschten Maßen sowie zwei nicht viel kleinere Abfallstücke. Er schob dann alle drei Stücke über den Verkaufstresen und ließ Micha dann ohne Schnur, um die drei Platten irgendwie zusammenzubinden, einfach stehen.
Naja, so weit ist es ja nicht bis zur Metro-Station und irgendwie wird man die 160cmx80cm Rückwand und die beiden anderen Platten schon dahin bekommen. Also schleppte Micha los, hatte er doch auch noch seine Arbeitstasche zu tragen und unhandlich waren die riesigen Teile ja schon. Die Arme wurden immer länger und dummerweise verrutschten die Platten bereits nach je ein paar Schritten gegeneinander, so dass Micha mehrmals stehen bleiben und sie wieder in die richtige Lage schieben musste. Außerdem wurde es schon dunkel und auf den Straßen waren auch nicht gerade wenige Leute unterwegs.
Nach etwa 200 Metern hatte er dann schwitzend den Zugang zur Metro erreicht, doch leider kam sogleich ein Security-Mann auf ihn zu, meinte, dass er mit den sperrigen Platten nicht mit der Metro fahren dürfe und fragte, wo Micha denn hin müsse. Nach Providencia, das wäre viel zu weit - klar, ist ja auch einmal quer durch die Stadt. Bei einer Strecke von nur 1-2 Haltestellen hätte er vielleicht mit sich reden lassen, aber so...
Also erstmal die Treppen der U-Bahn wieder hoch und dann nachgedacht, was zu tun ist; bleibt eigentlich nur ein Taxi. Micha stellte sich also an den Straßenrand und hielt eines der vielen schwarz-gelben Taxis an. Der Fahrer stieg sofort aus, besah sich kurz die Größe der Platten und meinte, dass die unmöglich in sein Auto passen würden. Er versuchte es trotzdem sowohl im Kofferraum als auch im Innenraum, aber keine Chance. Vom Umlegen der Rückbank hatte er anscheinend noch nichts gehört. Micha bräuchte ein Taxi mit "parrilla". Damit war aber kein Grill gemeint, wie Micha sich schon wunderte, sondern ein Dachgepäckträger, der in Chile eben genauso heißt. Der nette Mann hielt dann auch sofort ein vorbeifahrendes Taxi mit Parrilla an. Die Platten wurden auf das Dach gehoben und mit ein paar dünnen Schnüren festgebunden, standen aber vorne und hinten reichlich über. Micha durfte einsteigen und los ging die Fahrt. Nach einigen Metern, das Taxi hatte inzwischen auf 40-50 Stundenkilometer beschleunigt, hörte man ein schwingendes Geräusch, das vom Flattern der Platten im Fahrtwind herrührte. Der Taxista bremste daraufhin das Fahrzeug ab und meinte, man müsse die Platten wohl mit der Hand festhalten. Also beide Fenster heruntergekurbelt, die Hand hinaus und zugreifen. Das Geräusch ließ nach, solange die Geschwindigkeit unter 40 Stundenkilometer blieb und so fuhr Micha und der Taxista mit je einer Hand auf dem Autodach in gemächlichem Tempo Richtung Providencia.
Nach einer Weile meinte der Taxifahrer, der sich immer wieder bemühte ein Gespräch anzufangen, wozu Micha mit seinen wenigen Worten Spanisch allerdings nicht allzu viel beitragen konnte, etwas von "mano fria". Ja, dass es vom Fahrtwind recht kalt an den Händen wurde, das hatte Micha schon selbst festgestellt, obwohl der ja sonst nie friert. Nach 20 minütiger Fahrt erreichte das Taxi schließlich unsere Wohnung. Micha war froh, dass diese Odyssee vorbei war und er endlich und mit heiler Rückwand zuhause ankam. Der Taxista bekam für seinen tollen Service und seine kalte linke Hand erstmal ein ordentliches Trinkgeld und dann schleppte Micha die Platten in unsere Wohnung.
Fazit: Wir haben eine neue Rückwand für unser Regal (plus noch zwei große Reststücke im Keller), Micha weis jetzt was Dachgepäckträger auf chilenisch heißt und er hat sich geschworen, dass ohne Auto so schnell keine sperrigen Güter mehr transportiert werden.