Silke und Micha in Chile

Dienstag, 3. April 2007

Ein Wochenende in Rancagua - Kupfermine und Rodeo (Bericht 12)

Eine gute Autostunde südlich von Santiago gelegen, ist Rancagua die Hauptstadt der 6. Region Chiles und hat etwa 210.000 Einwohner. Die Stadt ist von der Landwirtschaft des Umlands und vom Bergbau geprägt. 1814 erlitt hier der chilenische Freiheitsheld Bernardo O'Higgins seine größte Niederlage während des Unabhängigkeitskrieges gegen die Spanier, den er später aber trotzdem gewann.

Am Samstag besuchten wir im Rahmen einer geführten leider nur auf Spanisch verfügbaren Tour El Teniente (der Leutnant), die bereits 1904 eröffnete, momentan größte unterirdische Kupfermine der Welt; etwa 60 km östlich von Rancagua. Bereits in vorspanischer Zeit wurde in den Anden in der Nähe von Rancagua Kupfer abgebaut, allerdings in sehr kleinem Maßstab und weitgehend von Hand.

Das Kupfer tritt mancherorts als blaues Kupfersulfat bis an die Oberfläche.

Später ging das erzhaltige Land in den Besitz einiger reicher spanisch-chilenischer Familien über und 1905 baute die private US-amerikanische Braden Kupfer Company auf Veranlassung der chilenischen Eigentümer trotz unwirtlicher Umgebung und hartem Klima mit häufigen Erdrutschen und Lawinen, innerhalb kürzester Zeit eine funktionierende, damals hochmoderne Kupfermine inklusive Produktionsanlagen, gewaltigen Maschinen, kompletter Infrastruktur und Transportwegen auf, die inzwischen seit über 100 Jahren ständig expandiert.

Alte hölzerne Transportwege, mitten durch den Fels.

Eine Abraumhalde für das vom Kupfer befreite Restgestein.

Inzwischen durchziehen mehr als 2000 Kilometer Tunnel und Schächte auf 8 Haupt- und einigen 20 Unterniveaus den Cerro Negro (schwarzen Hügel), verbunden durch Aufzüge, Rampen und Schienen. An der Oberfläche gibt es eine Reihe von hochmodernen Produktionsstätten zur Aufbereitung, Anreicherung und zum Ausschmelzen des Kupfers.

Entlang des Copper-Highway, einer gut ausgebauten Asphaltstrasse, vorbei an Produktionsstätten,...

den Hochöfen zum Herausschmelzen des Kupfers...

sowie Sedimentbecken und Konzentratoren.

1971 unter der Regierung Allende wurde die Mine dem Codelco-Konsortium zugeschlagen und so verstaatlicht. Seitdem bringt sie hohe Einnahmen für den chilenischen Staat. Insgesamt trägt der Kupferabbau und die Kupferaufbereitung etwa 40 Prozent zur Wirtschaft des Landes bei und macht Chile zum weltgrößten Kupferproduzenten.

Das Monumento Minero - ein Denkmal zu Ehren der Minenarbeiter.

Im Bus erreichten wir nach einer halben Stunde Fahrt die Kontrollstation Maitenes, wo unser Führer uns eine kurze Einführung in die Mine El Teniente und die nötigen Sicherheitsvorschriften des Codelco-Konzerns gab. Da in der Mine ja rund um die Uhr gearbeitet wird, wurden alle Teilnehmer anschließend mit Sicherheits-Equipment (Helm, Lampe, Sicherheitsstiefel, Atemmaske, Autorespirator für den Notfall, Schutzbrille und orange Warnjacke) ausgestattet. Micha hatte mit seiner Schuhgröße 48 natürlich keine Chance. Die Chilenen waren völlig erstaunt und meinten, es gäbe nur Schuhe bis Größe 46. Zwei Stunden lang zwei Nummern zu kleine, völlig harte und unnachgiebige Schuhe - das konnte ja heiter werden. Micha lief dann auch ständig auf Zehenspitzen und war froh als er die Schuhe wieder ausziehen durfte.
Nachdem jeder seine Ausstattung hatte, ging es mit dem Bus weiter durch die Anden bis zur Mine. Dort angekommen fuhren wir erstmal einige Kilometer weit in die unterirdische Stadt hinein.

Riesige Tunnels, groß genug für LKWs und Busse, schwach beleuchtet, aber mit Ampelanlagen und Ausweichstellen für den Gegenverkehr.

Sobald der Bus in den Tunnel gefahren war, mussten alle Insassen ihre Jacken anziehen und ihre Helme aufsetzen. Was das helfen soll ist uns leider nicht ganz klar, da bei einem Steinschlag, der das Dach des Busses durchschlägt wohl auch ein Helm nicht mehr viel nutzt, aber Vorschrift ist in Chile halt Vorschrift.

Silke in voller Sicherheitsmontur.

Riesige mechanische Tore, um die Luftzirkulation in der Mine zu regulieren. Per Seilzug wurde die zischende Pneumatik aktiviert und das Tor schloss sich mit einem Warnton hinter uns.

Zu Fuß ging es dann zur Sala de los Cristales, einer Höhle im ansonsten dichten Gestein, in der zwei mehrere Meter lange Kristalle aus durchsichtigem Calciumsulfat liegen. An den Wänden wachsen zudem viele kleinere Kristalle aus Pyrit und Quarz.

Oben ein mehrere Meter langer Calciumsulfat-Kristall, darunter ein lang gestreckter Brocken mit kleinen Kristallauswüchsen auf der Oberfläche.

Dieser kleinere Calciumsulfat-Kristall ist nur einen knappen Meter lang.

Beleuchtet von buntem Licht wirkt der enge Saal wie eine Feengrotte.

Anschließend geht es wieder zu Fuß durch einen weiteren Tunnel zu einer imposanten unterirdischen Halle, in der ein vollautomatisches Mahlwerk das herausgestemmte erzhaltige Gestein zerkleinert.


Mit Schutzbrille und angelegter Atemmaske sehen wir, wie unter ohrenbetäubendem Lärm Gesteinsbrocken aus zwei Riesensilos (mehrere 10 Meter hoch) auf je ein Förderband fallen, das diese dann von beiden Seiten in einen Trichter rutschen lässt.


Unten angekommen werden die teilweise 1 Meter großen tonnenschweren Blöcke wie weicher, lose-verbackener Sand von einer rotierenden Stahlglocke zerkleinert und in feine Bröckchen zerrieben. Einzig die kleinen Funken, die beim Auftreffen des Gesteins auf dem hochlegierten Stahl entstehen, zeigen die wahre Kraft dieser Maschine.


In der Halle steht ein mehrere Meter hoher (wohl alter) Stahlkegel. Solch ein Kegel rotiert exzentrisch im Inneren des Mahlwerks und zerquetscht so das harte Gestein.


Vom Kontrollzentrum aus wird das gesamte Spektakel anhand eines graphischen Computerprogramms von einem einzigen Arbeiter gesteuert und mit mehreren Monitoren genau überwacht.


Nach der Besichtigung ging es mit dem Bus die 15km Tunnel zurück an die Erdoberfläche. Leider sind die Produktionsanlagen und Hochöfen nicht für Touristen zugänglich. Stattdessen erreichte die Tour nach einigen Minuten Fahrt in Serpentinen den Berghang hinauf Sewell, die einstige, heute verlassene Bergarbeiterstadt auf ca. 2200m inmitten der Anden, die nach dem ersten Präsidenten der Braden Kupfer Company benannt wurde.

Die für Sewell typische Holzarchitektur; mehrstöckige Gebäude direkt in den steilen Hang gebaut.

Endlich konnte Micha die zu kleinen Sicherheitsschuhe wieder ausziehen und auch die Helme und der Rest der Sicherheitsausrüstung durfte im Bus bleiben, während wir zum Mittagessen in eine der Kantinen der Minenarbeiter gingen.

Das schlammige Wasser der Pfützen am Boden der Tunnel war heraufgespritzt und hatte die Hosenbeine verschmutzt. Ob der Dreck wohl wertvolles Kupfer enthält?

Vom leckeren Essen - chilenisches drei Gänge Menü mit Kartoffelsuppe, Brot, Schweine- oder Rindfleisch mit Beilage und Salat und einem Nachtisch nach Wahl - gestärkt, besichtigten wir dann das von den schroffen, teilweise schneebedeckten Andenkämmen umrahmte Sewell. Bereits 1905 gegründet, lebten die Minenarbeiter hier sehr abgeschieden und isoliert in karger Natur und speziell die schneereichen Andenwinter waren sicher alles andere als leicht auszuhalten. Manche Mineros verbrachten hier ihr gesamtes Leben und auch unser Führer wurde hier geboren und hat bis in die 1970er hier gelebt.



In den Berghang gebaut trägt Sewell auch den Beinamen "Ciudad de las Escaleras", die Stadt der Treppen, da überall steile Stufen die Straßen ersetzen.

Eine Stadt zu steil für Straßen. Von der zentralen Treppe zweigen viele kleinere Treppen ab, die die Stadt anstelle von Nebenstraßen durchziehen.


über die Jahre entwickelte sich eine vollständige Infrastruktur mit mehrstöckigen Wohnblocks, kleinen Läden,...

Viele Leute lebten auf engem Raum, daher auch die meist mehrstöckigen Gebäude. Im Erdgeschoss gab es oft kleine Läden, darüber Wohnungen.


... einer Kirche, einer Schule, einem der modernsten Krankenhäuser in ganz Lateinamerika, einem Kino (das stets die neuesten Filme direkt aus USA zeigte, Monate bevor diese sonst irgendwo in Chile zu sehen waren),...



... einer Kegelbahn und sonstigen Freizeiteinrichtungen. Was fehlte waren Gärten und grüne Pflanzen - vielleicht daher die bunten Hausanstriche.
Im Zentrum der Stadt befindet sich das neu angelegte Museo de la Gran Mineria del Cobre mit einer gelungenen Ausstellung über das Leben und Arbeiten der Mineros in den vergangenen 100 Jahren sowie über die Kupfergewinnung und -verwendung.

Das Museum mit einigen Maschinen auf dem Vorplatz.

Einige Gerätschaften aus vergangener Zeit.

Feuerwehrmänner im Wandel der Zeit; selbst der Feuerlöscher ist hier aus Kupfer.

In El Teniente und Sewell wurden früh gute Sicherheitsstandards eingeführt, wohl auch durch die Bergwerkstragödie, bei der 1945 355 Arbeiter durch den Rauch eines Feuers in der Mine erstickten.

Aufgrund des "ley seca", wonach es den Minenarbeitern in Sewell offiziell verboten war Alkohol zu trinken, versuchten sogenannte Guachucheros unter ihren Mänteln heimlich Schnapsflaschen in die Stadt zu schmuggeln.

Um 1960 lebten insgesamt etwa 15.000 Menschen - Minenarbeiter, ihre Frauen und Kinder - in der Stadt. Natürlich gab es auch soziale Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen von Bewohnern: US-amerikanische Ingenieure, chilenische Vorarbeiter und einfache chilenische Arbeiter. So war beispielsweise das Casino mit seinem Schwimmbad, seiner Bar und seinen Spielsalons allein den US-Amerikanern vorbehalten, was durch Wachleute und Kontrollen gewährleistet wurde.

Das Casino mit seiner pompösen Fassade und dem großen Vorplatz.

Die Ingenieure lebten mit ihren Familien in freistehenden Häusern oft mit kleinen Gärten und hohem Komfort, während die unverheirateten einfachen Arbeiter in Männerwohnheimen, die verheirateten mit ihrer ganzen Familie in kleinen 2-Zimmer-Wohnungen mit kleiner Küche und Etagenbad leben mussten.

Blick ins Innere einer der heruntergekommenen 2-Zimmer-Wohnungen.

Speziell das Verhältnis zwischen den etwas besser gestellten chilenischen Vorarbeitern und ihren Untergebenen muss oft sehr angespannt gewesen sein, wie unser Führer erzählte.
Ab 1968 begann die Umsiedlung der Arbeiter in das gut 50 Kilometer entfernte Rancagua. Man wollte den Arbeitern so ein "normales" Leben angegliedert an eine gewachsene, nicht rein künstlich geschaffene Stadt bieten. Viele Häuser wurden in der Folge abgerissen und als Brennholz benutzt, so dass das heutige Sewell eigentlich nur den Kern einer viel größeren Siedlung darstellt. Ab 1980 wohnten schließlich nur noch Vertragsarbeiter ohne ihre Familien in Sewell und ab 1998 war die Stadt vollständig verlassen. Im Sommer 2006 wurde Sewell als UNESCO Weltkulturerbe anerkannt und die leerstehenden und zwischenzeitlich recht verfallenen Häuser werden seither schrittweise restauriert. Näheres hierzu findet man (sogar in englisch) auf der Homepage von Sewell.

Silke, neben dem Denkmal eines Mineros mit Lampe und Pressluftbohrer.

Auf der Rückfahrt nach Rancagua am späten Nachmittag sahen wir etliche Busse, die die Arbeiter in einer 1-stündigen Fahrt zu ihrer Arbeit in die Mine bringen. Die Umsiedlung erleichterte und verbesserte so zwar das Leben der Minenarbeiter, brachte aber auch einen längeren Weg zur Arbeit mit sich.

Nach einer kurzen Dusche im Hotel spazierten wir am Abend dann noch ein wenig durch Rancagua. Die Straßen waren noch sehr belebt mit Chilenen die gerade ihre Wochenendeinkäufe erledigt hatten. Zudem fand auf der Plaza von Rancagua an diesem Wochenende die Fiesta Huaso statt und der ganze Platz war mit Essensbuden und Ständen mit regionalen Erzeugnissen (Kunsthandwerk, Lebensmittel, Kakteen, Souvenirs) vollgestellt. Auch hier kaum ein Durchkommen vor lauter Menschen. In der Mitte der Plaza gab es zudem Livemusik und wieder einmal Cueca-Tanz und vor der Kathedrale parkte bereits ein Oldtimer und wartete auf das frischvermählte Paar - chilenische Hochzeiten finden immer erst Samstag abends statt und die anschließende Feier dauert dann die ganze Nacht. Nach einem guten Abendessen fielen wir müde und zufrieden ins Bett.

Am Sonntagmorgen waren wir bereits um 9 Uhr zu Fuß unterwegs zum Rodeo, einer chilenischen Tradition, die vor allem in den ländlichen Gebieten des Zentraltals zwischen La Serena und Puerto Montt gepflegt wird. Der Abschluss der jährlichen Rodeo-Saison findet dabei jeweils in einem dreitägigen Event Ende März in der Medialuna Monumental in Rancagua statt. Hier wird der nationale Champion gekürt und dementsprechend groß ist auch der Zulauf an Zuschauern. Die Sieger werden in ganz Chile, besonders aber natürlich in ihrer Heimatregion gefeiert.
Entlang der Straße standen schon überall geparkte Autos, bewacht durch die obligatorischen Einweiser und vor dem Kassenhäuschen gab es eine zig Meter lange Schlange. Wie gut, dass wir unsere Karten bereits am Tag zuvor gekauft hatten und so gleich durch die Eintrittskontrolle gehen konnten.
Im Stadion selbst trabten bereits einige Reiter mit ihren Pferden, um diese für den Wettkampf warm zu machen...


und wohl auch, um ihre herausgeputzten Tiere und sich selbst in ihrer Huasotracht stolz zu präsentieren.


Auf der Zugangsrampe und der Galerie der Arena standen schon etliche Zuschauer.


Auf den beiden Haupttribünen war dagegen noch nicht viel los. Wir gingen zu unseren Plätzen und machten es uns erstmal auf den Holzbänken gemütlich.
Entstanden ist das chilenische Rodeo aus der Notwendigkeit die gemeinsam weidenden Rinderherden einmal im Jahr nach Besitzern getrennt zusammenzutreiben, die Jungtiere auszusondern und einzeln mit dem Brandzeichen des Eigentümers zu versehen. Natürlich war dabei Schnelligkeit ein Vorteil und so entwickelte sich eine Art Wettbewerb unter den Huasos. Es wurden sogar spezielle Pferde zu diesem Zweck gezüchtet und abgerichtet. Das daraus entstandene heutige Rodeo findet als sportlicher Wettkampf in einer der etwa 250 über Mittelchile verteilten Medialunas, einer runden Arena mit ca. 45 Metern Durchmesser statt. Die Arena ist in eine halbmondförmige größere Fläche (daher der Name Medialuna) und einen kleineren ovalen Bereich unterteilt.

Die Haupttribüne ist so früh am Morgen natürlich recht leer, das sollte sich aber im Lauf des Tages noch ändern.

Zu Beginn wird der Jungstier von zwei Huasos in dem kleineren ovalen Teil der Arena angetrieben.

Der Stier betritt die Arena durch diese schmale Tür.

Verfolgt von den beiden Reitern muss er dabei zweieinhalb Runden laufen,


woraufhin der Durchlass in den halbmondförmigen Teil der Arena geöffnet wird und das eigentliche Rodeo beginnt.


Manchmal kann es der Stier gar nicht erwarten und versucht in vollem Galopp über die Absperrung zu kommen; schafft er aber nicht, ätsch.

Die beiden Huasos versuchen nun den Stier nur mit ihren Pferden am Rand der Arena entlang zu treiben...

Außen an der Fahne vorbei und dann auf die gepolsterte Zone an der Wand der Medialuna zu.

und ihn dort innerhalb eines bestimmten Abschnitts gegen die gepolsterte Wand zu drücken und so zu Fall zu bringen, woraufhin der Stier in die entgegengesetzte Richtung gelenkt werden muss.

Da guckt der Stier dumm, so schnell wie er zu Fall gebracht wurde.

Dies wird dreimal wiederholt, wobei in jedem Durchgang bis zu 4 Pluspunkte "puntos buenos" erreicht werden können. Diese werden von mehreren Punktrichtern vergeben, die in einer Kabine hoch über der Medialuna sitzen.


Das System der Punktevergabe erschien uns zunächst sehr mysteriös, obwohl unsere chilenischen Nebensitzer meist schon im voraus genau die richtige Punktzahl nannten. Es gibt wohl Punkte für den Stil und die Art, wie der Stier zu Fall gebracht wurde. Je weiter hinten am Körper des Stiers der Reiter von der Seite drückt, desto besser. Zudem dürfen Poncho und Stiefel der Reiter nicht dreckig werden und überhaupt spielt eine gewisse Eleganz wohl auch eine Rolle. Minuspunkte "puntos malos" gibt es bei "Rampa", wenn der Stier die Holzwand über dem Polster berührt, wenn er ausbricht oder nicht innerhalb der markierten Bereiche zu Fall gebracht werden kann.
Abschließend treiben die beiden Reiter den Stier dann aus der Arena, worauf das nächste Reiterteam mit einem neuen Stier startet.
Während des gesamten Durchgangs treibt ein Huaso den Stier ständig vorwärts, während der zweite versucht, ihn seitlich in die gewünschte Richtung zu lenken; alles ohne Peitsche oder andere Hilfsmittel - naja o.k., manchmal drückt der antreibende Reiter ein wenig mit seinem Fuß.

Im Galopp durch die Arena.

Das Team muss zum einen also gut aufeinander eingespielt sein und zum anderen völlige Kontrolle über die Pferde haben, um schnell auf die Fluchtversuche des Stieres reagieren zu können. Trotzdem kann der Stier den Reitern natürlich einen Strich durch die Rechnung machen, wenn er nicht so will, bockt, einfach stehen bleibt oder nach dem Zufallbringen nicht mehr aufstehen will.


Zwei Helfer eilen dann sogleich herbei und versuchen den Stier durch Schieben oder am Schwanz-Ziehen auf die Beine zu bringen. Hilft das nicht, schlägt einer der Helfer dem Stier mit der flachen Hand seitlich an den Kopf.


Diese "Backpfeife", die dem Tier wohl nicht besonders wehtut, soll hauptsächlich dafür sorgen, dass der Stier weg von der Wand und zur freien Seite hin schaut und dann fast immer von alleine aufsteht. Erst wenn all dies nichts genutzt hat, greifen die beiden Helfer zum letzten Mittel:


Sie drehen den Stier erst auf den Rücken und rollen ihn dann ganz herum, bis er wieder auf den Füssen, aber einen guten Meter weiter weg vom Rand der Arena zu liegen kommt. Spätestens das hilft dem verdutzten Stier dann sofort auf die Beine.

Die Stiere auf dem Rückweg - auf zum nächsten Durchgang.

Das chilenische Rodeo hat also grundsätzlich nichts mit dem blutigen Stierkampf in Spanien zu tun. Ganz im Gegensatz dazu soll der Stier hier nicht verletzt und keinesfalls getötet werden. Natürlich ist das Rodeo trotzdem Stress, sowohl für die Stiere als auch für die Pferde - wohl genauso wie für die Reiter. Es geht aber traditionell eben gerade darum nicht grob zu den Stieren oder brutal zu den Pferden zu sein. Trotzdem gab es an diesem Tag drei kleinere Zwischenfälle (was bei einer Gesamtzahl von mehr als 200 Einzel-Durchgängen recht wenig erscheint): Insgesamt kam es während des Tages nur einmal dazu, dass ein Stier nach einem zu heftigen Aufprall mit sichtbar gebrochenem Hinterfuß vorzeitig die Arena verlassen musste. Ein weiterer Stier hatte sich wohl auf die Zunge gebissen und blutete am Ende seines Durchgangs aus dem Maul. Zuletzt hatte ein Huaso das Pech, sich mit einer seiner eigentlich rein dekorativen Reitsporen im Ende des Stierschwanzes zu verfangen. Von dem rennenden Tier mitgezogen ritt er mit durchgestrecktem Bein hinter diesem her durch die halbe Arena, bis sich ein ordentliches Fellbüschel aus dem Schwanz des Stieres löste.

Das versehentlich herausgerissene Haarbüschel.

Der gesamte Wettkampf zog sich über 4 Runden, bei denen immer mehr Huaso-Teams mit zu niedriger Gesamtpunktzahl ausschieden, bis schließlich im letzten Durchgang die drei besten Teams ermittelt waren. Diese hatten damit als letzte regionale Champions ihre Teilnahme für das große Finale am Nachmittag erstritten.

Die Sieger der letzten Vorausscheidung auf ihrer Ehrenrunde.

In der anschließenden Pause wurde die Arena neu präpariert.

Glattwalzen,...

den Boden wässern und...

schon mal anfangen die Arena zu streichen; heute nachmittag kommt ja das Fernsehen und da müssen alle Spuren der Vorausscheidung beseitigt sein und alles muss blitzblank und wie neu aussehen.

Da es bereits Mittagszeit war schlenderten wir durch die Außenbereiche des Stadiums, wo bereits überall die Parillas angeschürt waren.


Neben den üblichen Verpflegungsständen, die Getränke, Empanadas, gegrillte Rindfleischspieße und zum Nachtisch frisch frittierte und gezuckerte Churros verkauften, gab es viele Stände die alle Arten von unentbehrlichem Zubehör wie Pferdedecken, Sättel, Zaumzeug, Sporen, Stiefel und natürlich die obligatorischen Hüte feilboten.

Die breitkrempigen Rodeo-Hüte werden erstmal glatt gebügelt. Zur Aufbewahrung zuhause gibt es extra Hutspanner aus steifer Pappe, die ebenfalls für eine brettebene Krempe sorgen.

Nach einer ausgiebigen Runde durch die Budenstadt kehrten wir zu unseren Plätzen zurück und kamen gerade rechtzeitig zum Frauenfinale der Dressurübungen. Das Männerfinale gab es wie üblich erst danach.


Es scheint, dass Frauen nicht am eigentlichen Rodeo teilnehmen dürfen, während die Dressur von Männern und Frauen geritten wird.
In festgelegten Übungen stellen die Reiter und Reiterinnen hierbei die Geschicklichkeit und den Gehorsam ihrer Pferde unter Beweis.


Zunächst muss das Pferd im Schritt an der Außenmauer der Arena entlang geführt werden, dann an einer bestimmten Stelle in den Trab übergehen und schließlich ins Zentrum der Arena galoppieren, wo es möglichst unmittelbar in einer beeindruckenden Staubwolke anhalten und auf den Hinterbeinen wenden muss, direkt gefolgt vom nächsten Galopp.


Bei jeder Übung versuchen die Reiter möglichst viele der je 10 Punkte zu erreichen, die wieder von zwei Punktrichtern vergeben werden. Dabei kam es manchmal schon zu lauten Pfiffen der zwischenzeitlich sehr zahlreichen Zuschauer, falls diese nicht mit der Wertung einverstanden waren.

Ein Pferd kann bei diesen schwierigen Übungen schon mal ein Hufeisen verlieren. Ob das dann besonderes Glück bringt?

In weiteren Übungen muss das Pferd mehrfach einen exakten Kreis


und eine Acht reiten; Piruetten auf den Hinterbeinen drehen;



und rückwärts traben und sich dabei ganz auf die Führung des Reiters verlassen.


Schließlich muss das völlig aufgeputschte Pferd der Männer in der Mitte der Arena total stillstehen, während der Reiter absteigt,


einige Schritte zur Seite geht, sich dem Pferd wieder nähert und aufsteigt. Alles ohne, dass das Tier auch nur mit einem seiner Hufe zuckt oder gar einen Schritt macht.

Die Siegerin des Dressurfinales der Frauen.

Inzwischen war es Nachmittag geworden, die Sonne hatte sich durch die dicken Wolken gekämpft und brannte inzwischen vom Himmel und die Tribünen waren so ziemlich bis auf den letzten Platz besetzt - klar alle wollten ja das große Finale sehen und die Stimmung wurde immer ausgelassener.


Auf Promiseite gab sich Fernando Gonzalez, der chilenische Tennisweltranglisten fünfte, die Ehre.

Nachdem die Rodeo-Königinnen gekrönt waren...


marschierte das nationale Polizei-Musikregiment lautstark in die Arena ein.


Es gab einige Ehrungen und dann wurde unter Abspielen der Nationalhymne die chilenische Fahne gehisst; ein deutliches Zeichen, dass jetzt das nationale Rodeofinale anstand.


Die Teilnehmer kamen stolz hereingeritten und stellten sich im Kreis auf.

Ein kurzes Gedenken für die verstorbenen Mitglieder der Rodeo-Vereinigung.

Anschließend wurde das schönste Pferd gewählt. Sieger wurde ein schwarzer Hengst mit einer leichten grauen Fleckzeichnung an beiden Flanken, ähnlich wie bei einem Apfelschimmel. Unser Sitznachbar erklärte uns, dass dies eine große Ehre sei, die den Preis des Hengstes und seiner Nachkommen deutlich nach oben treibe.
Dann startete endlich das Finale und die Stimmung erreichte ihren Höhepunkt. Zwei Wochen vorher hatten wir ja schon die Fernsehübertragung einer Rodeo-Vorausscheidung in La Serena gesehen. Allerdings fehlte dort die komplette Atmosphäre und das gesamte Drumherum. Nicht so hier, wo die Chilenen wieder einmal ein riesiges Fest zelebrierten. Nahezu alle Zuschauer trugen inzwischen die breitkrempigen, schattenspendenden Strohhüte; viele trotz der Hitze des Nachmittags auch die Mantas genannten Ponchos mit kurzer weißer Weste und gemustertem Hemd darunter. Anstelle einer La-O-La Welle wurden hier zwei Stoffpuppen an den Tribünen entlang weiter geworfen. Die Frauenpuppe immer ein Stück voraus, gefolgt von der Männerpuppe. Ob das wohl eine tiefere Bedeutung hatte? Lustig war es auf jeden Fall. Laute Kommentare, Anfeuerungsrufe oder auch durch Pfiffe ausgedrücktes Missfallen wurden immer häufiger und ein paar mal reichte die Spanne der Gefühlsausbrüche bis hin zum Werfen von Müll.

Über eine Punktrichterentscheidung unzufrieden flogen gleich zig Plastikflaschen in die Arena. Naja es gab ja genug Hilfskräfte, die den Müll schnell wieder einsammelten.

Alle fieberten mit, wobei wir aber nicht den Eindruck gewannen, dass das Publikum parteiisch gewesen wäre. Eher sollte wohl wirklich der Beste gewinnen.
Wieder gab es 4 Durchgänge in denen immer mehr der anfangs über 30 Teams ausschieden und am Ende, als die Sonne schon fast untergegangen war stand er endlich fest, der neue chilenische National-Champion: zwei Huasos aus Valdivia.
Nachdem der zweite Platz in einem Stechen entschieden war und die Dämmerung schon hereinbrach, wurde in der Mitte der Medialuna schnell ein Podest aufgebaut, während die Sieger erste Interviews gaben. Die Vorbereitungen zur Preisverleihung zogen sich allerdings ziemlich in die Länge und die noch anwesenden Zuschauer wurden verständlicherweise schon etwas ungeduldig. Als Sachpreis gab es für die beiden Huasos je einen geländegängigen Pickup mit großer Ladefläche und für die Pferde einen neuen Sattel. Das zweitplazierte Team erhielt immerhin noch je einen Großbild-Fernseher.

Die Siegerehrung war natürlich zur Ehrentribüne ausgerichtet und von unserem Platz aus nur von hinten zu sehen.

Schon während der Siegerehrung strömte alles in Richtung Ausgang. Im Außenbereich brannten noch immer die Grills und ein Teil der Chilenen feierte wohl noch eine Weile. Viele andere machten sich aber genau wie wir direkt auf den Nachhauseweg und das Verkehrschaos hielt sich erstaunlicherweise in Grenzen. Vielleicht lag es auch daran, dass wir erst unser Auto vom Hotelparkplatz holen mussten und so erst eine viertel Stunde später losfuhren.