Silke und Micha in Chile

Donnerstag, 10. Mai 2007

Ins Töpferdorf mit "P" (Bericht 15)

... wie eine der Praktikantinnen in Silke's Agentur es nannte - waren wir am letzten Sonntag unterwegs. Das "P" steht dabei für Pomaire, ein kleines, sehr ländliches Dörfchen auf halber Strecke zwischen Santiago und der Hafenstadt San Antonio gelegen.
Wir fuhren also erstmal quer durch Santiago, wo am Sonntag morgen aber nicht viel los war und durchquerten anschließend die südwestlichen Vorstadtgebiete, die ebenfalls noch zu schlafen schienen. In Maipu bogen wir dann auf die alte Teerstraße, den Camino a Melipilla ein und fuhren durch ländliche Gegend, durch mehrere kleine Orte wie Talagante und El Monte und vorbei an vielen Obst- und Gemüseständen, die wie üblich direkt an der Straße mehrere Kilo Kartoffeln, Tomaten, Palta (Avocado), Äpfel oder Bananen für 1000 Pesos (1,50 Euro) anboten. Zudem waren verschiedene Marmeladen im Angebot, ebenfalls zu kleinen Preisen, dafür aber in großen Gläsern. Die Straße weist an manchen Stellen ziemliche Schlaglöcher auf, dafür muss man aber keine Maut zahlen und kann die ländliche Umgebung genießen.
Pomaire wurde bereits am Ende des 15. Jahrhunderts von Curaca Pomaire als landwirtschaftliche Siedlung einer Gruppe von Eingeborenen gegründet. Hundert Jahre später zog die wachsende Bevölkerung vom fruchtbaren Flachland einige Kilometer weiter nach Süden, wo es in den Hügeln jenen rot-braunen Ton gab, der bis heute der Rohstoff für die in Pomaire hergestellten Töpferwaren ist. Diese wurden von den Bewohnern auf den umliegenden Farmen gegen Lebensmittel getauscht. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Tonprodukte regelmäßig per Pferdewagen nach Valparaiso gebracht und dort auf dem Markt verkauft und bis heute bedienen sich die Töpfer der traditionellen, von Generation zu Generation weitergegebenen Techniken bei der Verarbeitung des Tons.

Hunderte Stände entlang der Straßen von Pomaire.

Am Vormittag war noch verhältnismäßig wenig los, das sollte sich bis zum Nachmittag aber gründlich ändern. Wir parkten auf einem relativ leeren Parkplatz und schlenderten durch die Straßen. Anders als in Deutschland, wo Töpfereistädte wie Thurnau vielleicht eine Hand voll Töpfereien haben, ist wohl ganz Pomaire irgendwie in den Herstellungsprozess oder in den Verkauf der artesanía en greda (Gegenstände aus Ton) involviert. Die Bevölkerung des Dorfes, das eigentlich nur aus zwei langen Parallelstraßen besteht, die durch mehrere kleinere Querstraßen verbunden sind, arbeitet in zig Familienbetrieben und bietet die Erzeugnisse in hunderten dichtgedrängter Läden und Ständen an. Unterbrochen wird die Reihe von Töpfereigeschäften einzig durch einige Restaurants und wenige Souvenirläden.

Einer der größeren Verkaufsräume. Viele andere sind teilweise winzig, aber mit Töpferwaren vollgestopft, so dass man kaum alles gleichzeitig sehen kann und fast Angst hat sich zu bewegen.

Die Produktpalette umfasst viele althergebrachte Formen. So gibt es alle Arten von Gebrauchsgeschirr, von Tassen, Bechern und Tellern über große Kochtöpfe und die typisch chilenischen Schälchen für das Pebre (eine mit Olivenöl angemachte Mischung aus kleingeschnittenen Tomaten, Zwiebeln und frischem Koriander, die fast überall mit frischem Brot als Vorspeise gereicht wird) sowie die aus jedem Restaurant bekannten schweren braunen Auflaufschalen für das Pastel de Choclo (ein mit Maisbrei überbackenes Hackfleischgericht). Vorteil der meist dickwandigen Töpferwaren ist, dass sie feuerfest und fast unzerbrechlich sind und die Hitze gut und lange speichern.

Klassisch chilenische Küchenwaren. Es gibt sogar riesige zweigeteilte Töpfe für die Parillas, mit einem Unterteil für Kohlen und einem Oberteil, in dem das gegrillte Fleisch warmgehalten werden kann.

Daneben gibt es im Vergleich zu Deutschland sehr günstige Tonvasen, Blumentöpfe, Balkonkästen und riesige Pflanzkübel. Gefüllt werden können diese direkt mit getrockneten farbig-bunten Blumen, Ähren und Zweigen, die wohl aus der Umgebung von Pomaire stammen. Außerdem gibt es diverse Dekorativgegenstände; am häufigsten sieht man vielleicht das Chancho de ahorro - ein tönernes Sparschwein, das man leider zerschlagen muss, um wieder an das Ersparte zu kommen, verschiedene Wandbilder, Töpfchen und Gefäße in Puppenküchengröße sowie ganze Miniaturöfen mit Ofenklappe und Ofenrohr, Minitiere und seltsame gelbe bis zu 60cm hohe Wasserhydranten, deren Sinn wir bisher nicht herausbekommen konnten. Schließlich noch religiöse Darstellungen wie Tonkreuze, große Tonrosenkränze und einige Tonkippenfiguren. Für Kreativkünstler werden außerdem für 100 Pesos (15 Cent) mehr als faustgroße Tonklumpen verkauft. Da die fertigen Tonwaren aber nicht teuer und teilweise sehr hübsch waren, lohnt sich der Aufwand selbst mit dem Ton zu arbeiten sicher nicht.
Eigentlich wollten wir ja gar nichts kaufen, aber wie immer konnten wir dann doch nicht ganz widerstehen.

Unsere Einkäufe, ein Windlicht, ein quadratisches Schälchen und ein Ajero (=Knoblauchtopf).

Nachdem wir fast alle Stände besichtigt und unsere Einkäufe getätigt hatten, war es schon früher Nachmittag und Pomaire war inzwischen von Wochenendausflüglern überlaufen, so dass wir beschlossen lieber etwas essen zu gehen. Schon auf dem Rundgang sprangen uns die Riesenempanadas ins Auge, die der Reiseführer als die größten in Chile beschrieb.

In der Auslage dieses Restaurants lagen die riesigsten Empanadas, die wir bisher je gesehen hatten. Gut 40cm lang, 30cm breit und wohl eher ein Mittagessen für die ganze Familie.

Nachdem wir schon am Anfang unseres Rundganges unter anderem einen Handzettel von einem Restaurant erhalten hatten, das auch der Turistel als bekannt für seine Riesenempanadas auswies, war schon klar, wo Micha essen wollte.

Innenansicht des El Parron. Unter Weinranken und im stilvollen Ambiente saßen wir auf der überdachten Terrasse.

Nach nur kurzem Studium der Speisekarte bestellte Micha dann auch eine Empanada grande.

Micha's Mittagessen.

Keine Pizza Calzone, sondern eine Empanada grande.

Diese war länger als der Teller und wog laut Karte ein Kilo. Der Teigmantel enthielt wie üblich eine Hackfleisch-Zwiebel-Füllung inklusive Ei und Rosine. Dazu kam in dieser Empanada aber noch ein viertel Hähnchen, das ebenfalls recht üppig ausfiel. Vielleicht eine spezielle Rasse aus einem der Doppeldottereier, wie sie hier in Pomaire verkauft werden. Micha hat die Portion gerade so geschafft. Silke entschied sich für ein Steak, das sich im nachhinein ebenfalls als extragroß herausstellte. Anscheinend sind in Pomaire alle Portionen mehr als ausreichend, auch ohne Vorspeise oder Nachtisch.
Nach dem Essen fuhren wir mit El Rojo weiter Richtung Küste. Hinter Melipilla bogen wir auf die autopista del sol ein und passend dazu war etwas vorher die Sonne durch die Wolkendecke gebrochen. Nach weiteren 40 Kilometern war die Hafenstadt San Antonio erreicht.

Hafenansicht San Antonio am Pazifik.

Im Jahre 1865, der Zeit des spanisch-chilenischen Krieges, während der Blockade von Valparaiso durch spanische Schiffe fungierte diese als Alternativhafen. Mehr als 30 Schiffe wurden damals pro Tag hier be- und entladen. Der Ausbau der Eisenbahn nach Santiago im Jahre 1911 führte zudem zu einem wirtschaftlichen Aufschwung.

Der Grúa 82 mit einigen alten Fischerbooten davor.

Aus dieser Zeit stammt auch der noch immer am Hafen stehende Grúa 82, ein dampfbetriebener Lastkran, der zum Ausbau der Hafenmole extra aus Frankreich nach Chile gebracht wurde. Vormals wurde mit ihm auch Fracht verladen, heute dient er nur noch zum Anheben der Fischerboote.

Silke vor dem historischen Dampfkran.

Heute hat San Antonio etwa 90.000 Einwohner und ist der größte chilenische Frachthafen; selbst größer als das 100km weiter im Norden liegende Valparaiso. Auf der Hafenpromenade gibt es Sonntag vormittags immer einen riesigen Fischmarkt mit Bergen von Fisch, Muscheln und Meeresfrüchten, der zum Glück für Micha schon vorbei war. Leider lag immer noch ein starker Fischgeruch in der Luft, so dass wir nach einem kurzen Spaziergang entlang der Mole und vorbei an einigen Souvenirständen wieder zum Auto zurückkehrten und anschließend über die Autobahn nach Santiago zurückfuhren.