Silke und Micha in Chile

Dienstag, 23. Oktober 2007

Yerba Loca (Bericht 24)

Nachdem am letzten Wochenende in Chile die Zeitumstellung von Winter- auf Sommerzeit erfolgte, fiel es uns - hauptsächlich Micha - schwer am Sonntagmorgen bereits um 8:00 Uhr aufzustehen. Da wir aber einen Trekkingausflug geplant hatten und das Wetter auch mitspielte, quälte sich Micha aus dem Bett, während Silke schon den Tisch deckte. Nach einer kurzen Dusche war Micha dann ebenfalls wach und nach einem schnellen Frühstück fuhren wir mit El Rojo durch die um diese Zeit am Sonntagmorgen noch recht leeren Straßen Santiagos Richtung Osten. Am Ende der Avenida Las Condes ging es durch ländliche Vororte und wir erreichten die Teerstraße, die nach Farallones, einem Skigebiet in den Anden führt.


In engen Serpentinen ging es steil nach oben und Micha musste schließlich aufhören im Reiseführer zu lesen, da er durch die ständigen Richtungswechsel schon leichte Kopfschmerzen hatte. Zum Glück war nach insgesamt 35km kurz darauf die Kurve 15 erreicht, an der der Weg zum Santuario de la Naturaleza Yerba Loca, unserem heutigen Ziel abzweigte. Wir meldeten uns an der Conaf-Station an, bezahlten den Eintritt, bekamen einige Hinweise und fuhren danach noch etwa 4km auf einer steinigen Erdpiste bis zum eigentlichen Parkeingang. Durch die Schneeschmelze musste El Rojo dabei zwei breite Rinnsale, die quer über den Weg liefen durchqueren, was er aber bravourös meisterte.
Wir parkten das Auto auf 1900m in Villa Paulina, einer alten Minenarbeitersiedlung, eigentlich nur eine Hand voll einfacher Häuser, wo man heutzutage nur noch Pferde für ein Cabalgate (Ausritt) leihen und an einem Kiosk Wasser sowie ein paar Lebensmittel kaufen kann.


Zu Fuß ging es dann erst quer durch die Picknick- und Campingzone, wo schon einige chilenische Familien auf den Bänken vor ihren Zelten saßen und sogar zwei Grills angeheizt wurden. Ob hier tatsächlich ein Frühstücks-Asado veranstaltet oder der Grill nur zum Wasser erhitzen benutzt wurde, blieb uns leider verborgen.

Ein Schmetterling - selbst in 2000m Höhe hatte der Frühling schon begonnen.

Hinter der Grill- und Picknickzone starten mehrere Wege (nach La Leonera, nach Agua Blanca sowie ein Sendero Interpretativo). Der längste und wohl auch interessanteste Weg ist aber der Sendero del Glaciar, der über eine Distanz von 14km von Villa Paulina bis zu den Hängegletschern der Berge La Paloma und El Altar führt und von dem wir heute ein Stück laufen wollten.

Blick zurück nach Villa Paulina, die Zelte und Grillplätze liegen versteckt in dem Kiefernwäldchen.

In der Umgebung von Villa Paulina wachsen noch hohe Nadelbäume, vor allem Zypressen, Kiefern, vereinzelt aber auch Weiden und Ulmen. Diese wurden von den Bewohnern angepflanzt und scheinen sich gut an das Klima und die Höhe angepasst zu haben.


Schon bald geht die Vegetation jedoch in das typische Anden-Matorral mit seinen niedrigere Hartlaub-Sträuchern und stacheligen Pflanzen über und die steilen Berghänge liegen schon fast kahl links und rechts von uns.
Um diesen Vegetationsübergang und sein natürliches Ökosystem zu schützen wurde der Park im Jahre 1973 angelegt und umfasst ein Gebiet von 39.000ha, von denen allerdings nur ein knappes Drittel von der Conaf verwaltet und bewirtschaftet wird.


Inmitten der Zentralanden erstreckt sich das Schutzgebiet auf Höhen zwischen 1000m und 5500m entlang des Yerba Loca Tals, das während der letzten Eiszeit von Gletschern geformt wurde, nach Norden. Umgeben wird es von majestätischen Bergen, wie Los Piches (4.270m), El Plomo (5.340m) und El Altar (5.220m), dessen Gipfel sowohl an einen Altar als auch an das Matterhorn erinnert.
Seinen Namen Yerba Loca (verrücktes Kraut) hat der Park übrigens von einem in dieser Gegend häufig vorkommenden Schmetterlingsblütler aus der Pflanzenfamilie Astragalinae, aus der auch die Erbse stammt. Anscheinend war es aber noch zu früh im Jahr, so dass wir keine blühenden Exemplare gesehen haben.


Im Talgrund fließt schäumend und plätschernd der Yerba Loca Bach, der in 3900m Höhe an der Flanke des La Paloma entspringt und dessen türkise Farbe von einem hohen Schwefelgehalt stammt, der es unmöglich macht das Wasser zu trinken. Jetzt im Frühling fließt durch ihn und seine diversen Zuflüsse zudem das Schmelzwasser der umliegenden Berge, die im Winter tief verschneit sind, zu Tal und immer wieder mussten wir durch kleinere Rinnsale und ausgedehnte von Wasser vollgesogene Moosflächen wandern. Zum Glück lagen meist genug größere Steine herum, so dass unsere Trekkingschuhe kaum nass wurden.

Silke beim Umgehen der Rinnsale.

Der gut markierte Weg verläuft permanent entlang des Ostufers des Flusses und steigt beständig sanft an. Die Tour in diesem Andenhochtal ist also eigentlich eine leichte Wanderung, obwohl uns die Höhe (2000m-2800m) und die im unteren Teil schon recht starke Sonne zum Schwitzen brachte.


Wie üblich waren wir auf dem Weg fast alleine unterwegs, auch wenn an einigen Stellen Gruppen von Jugendlichen zelteten - bei Los Hornitos, einer ausgedehnten Rasen-Moos-Fläche saßen vielleicht 30-40 Teens um nur 4 Zelte herum und wir fragten uns ehrlich, wie die alle dort übernachtet hatten. Kurz darauf begegneten wir einer Pfadfindergruppe, die gerade lautstark das Echo des Talkessels testete, doch nur wenige Meter weiter waren wir schon wieder allein unterwegs.


Die Pflanzen wurden immer spärlicher und zwischen ausgedehnten Stein- und Geröllfeldern mit teilweise enorm großen Findlingen im zweiten Teil der Tour ...

Blick zurück ins Tal.

... entdeckte man in der nun rauen Bergwelt nur vereinzelte Grasflecke oder isolierte moosige Weideflächen direkt am Ufer des Yerba Loca Baches.


Mit jedem bezwungenen Höhenmeter wurde es inzwischen kühler und vor allem windiger. Neben dem Weg waren vermehrt Schneeflecken zu sehen, Überbleibsel des diesjährigen Winters, der in diesen Lagen wohl noch nicht ganz vorbei war. Kein Wunder, ist die Region im Winter doch tief verschneit - direkt "nebenan" liegen die Skigebiete Farellones, El Colorado, La Parva und das Valle Nevado, dessen Name ja schon fast eine Schneegarantie gibt.


Tatsächlich wird der Park im Winter aufgrund des Schnees oft für mehrere Wochen geschlossen, obwohl sich entlang des Yerba Loca Flusses sogar gut mit Skiern wandern ließe. Die beste Zeit für einen Besuch sind daher eher die Sommermonate von Dezember bis März, obgleich es zu dieser Zeit im unteren Abschnitt des Tals sehr heiß wird. Man kann sich also entscheiden, ob man lieber zu Beginn der Tour ordentlich schwitzen oder gegen Ende der Tour frieren will.
Nach knapp 3 Stunden Wanderung hatte Silke dann genug und Micha erkletterte vom Ehrgeiz gepackt noch einen letzten Geröllhang alleine. In Serpentinen zog sich der Weg über ca. 50 Höhenmeter hinauf, um danach quer durch ein kurzes grasbewachsenes Flachstück zu führen, auf dem mehrere Pferde weideten. Da sich die Landschaft auch nach diesem Anstieg nicht wirklich änderte und weiter voraus schon der nächste Hang zu sehen war, machte Micha noch ein paar letzte Photos von den Gipfeln des La Paloma (die Taube) und El Altar Falso (der falsche Altar), um dann umzukehren.

Der vergletscherte La Paloma (4930m) und El Altar Falso (4550m) bilden den Talabschluss nach Norden.

Bis zum Felsen Casa de Piedra Carvajal (3000m), von wo man einen Panoramablick auf die umliegenden Berge und vor allem zum ersten Mal auf den "echten" El Altar hat, waren es laut Reiseführer noch einmal eine Stunde Weg. Von dort bis zum Hängegletscher des La Paloma wären nochmals 500 Höhenmeter zurückzulegen und da Micha ja weder als Bergsteiger den Gipfel des La Paloma, noch als Eiskletterer die Steilwand des Gletschers bezwingen wollte, konnte er sich getrost auf den Rückweg machen.


Silke hatte inzwischen an einer windgeschützten Stelle einige Eidechsen entdeckt, die sowohl der rauen Landschaft als auch dem harten Klima trotzten und in deren Gesellschaft sich ganz gut die mitgebrachten Brötchen und Kekse verspeisen ließen.


Während unseres Picknicks wurde uns selbst im Windschatten der großen Felsblöcke zwischen denen wir saßen richtig kalt und so brachen wir, nachdem wir fertig gegessen und ausgetrunken hatten, recht schnell wieder auf. Gestärkt machten wir uns auf den Rückweg und vorsichtig ging es über den hier steinigen Pfad bergab.

Wenn selbst Micha trotz Jacke mal friert, dann muss es schon sehr kalt sein.

Beim Blick über die Schultern sahen wir, dass sich am Ende des Tales inzwischen immer mehr tief hängende Wolken zusammenzogen. Die Sonne war nicht mehr zu sehen und das erklärte natürlich den rapiden Temperaturabfall. Einige hundert Meter weiter kamen wir wieder an dem einzeln stehenden Zelt vorbei, das wir schon auf dem Hinweg gesehen hatten. Diesmal stand es allerdings offen und der einsame Camper versuchte gerade sich im Freien einen Kaffee zu kochen. Nach einem freundlichen 'Hola!' unsererseits meinte er, dass es bald regnen würde. Ob dies als Frage oder als Feststellung gemeint war, können wir zwar nicht sagen, aufgrund der herrschenden Temperaturen dachten wir beide beim Thema Niederschlag jedoch eher an Schnee.

Tiefe Wolken und Nebelfetzen; die Gipfel am Talende war schon nicht mehr zu sehen.

Zügig und ohne größere Pausen ging es nun zu Tal. Sicher lag das zu gleichen Teilen am leichter gewordenen Rucksack, am nun abwärts führenden Weg und an der hinter uns näher rückenden Schlechtwetterfront. Nach gut der Hälfte des Rückwegs hatten wir die Wolken jedoch weit genug hinter uns gelassen und die Sonne kam wieder hervor. Anscheinend konzentrierte sich das schlechte Wetter nur im höhergelegenen Talabschnitt, während in den niedrigeren Regionen ein anderes Mikroklima mit zugleich viel erträglicheren Temperaturen herrschte.

Schon nicht mehr ganz so kalt.

Auf dem Rückweg kamen uns typisch chilenisch mehrere Familien und Grüppchen von Wanderern entgegen, die wohl erst jetzt am Nachmittag zu einer Tour aufbrachen. Ein älterer Chilene mit seinen beiden Enkeln fragte uns sogar, wie weit es denn bis zum Ende des Tals sei und ob wir bis ganz dort oben gewesen wären. Bleibt nur zu hoffen, dass er nicht den Plan hatte, um diese Uhrzeit - es war nach 15:00 Uhr - bis zum Gletscher zu wandern.

Fast zurück in Villa Paulina herrscht wieder die Strauchvegetation vor.

Am Ende unserer Tour empfing uns Grillgeruch und von mehreren Parrillas der Picknickzone am Parkeingang stieg Rauch empor. In großen Stücken brutzelten Rindfleisch und Schweinerippchen auf den Rosten und auf den Bänken saßen ganze Großfamilien gemütlich beim Essen. Klar dass uns das Wasser im Mund zusammenlief und wir deshalb schnell nach Hause fuhren, um selbst etwas Leckeres zu essen.