Silke und Micha in Chile

Freitag, 8. Februar 2008

Der Palacio Cousiño

Februar, das heißt Ferienzeit in Chile und tatsächlich ist wieder halb Santiago unterwegs, wodurch es in der Stadt bemerkbar ruhiger ist als sonst. Auch wir werden in ein paar Tagen für eine gute Woche in den Süden Chiles aufbrechen, wo es nicht ganz so heiß ist. Begleitet werden wir dabei von Michas Vater und dessen Lebensgefährtin, die seit ein paar Tagen zu Gast sind.
Während Silke diese Woche noch arbeitete, hatte Micha in den letzten Tagen mit unserem Besuch bereits die obligatorischen Touren durch das Stadtzentrum, die Barrios Bellavista und Providencia sowie auf den Cerro San Cristobal absolviert. Heute stand nun ein Besuch des Palacio Cousiño an, den auch Micha noch nicht kannte. Nahe der Metro Station Toesca, allerdings gut hinter Bäumen und Büschen versteckt gelegen und in keinem deutschen Reiseführer zu finden, birgt dieses Gebäude den immensen Luxus der reichsten chilenischen Familie des 19. Jahrhunderts.

Vorderansicht des Palacio Cousiño.

Durch den schattigen und gepflegten Vorgarten - eigentlich schon ein kleiner Park für sich - ging es zum Ticketschalter. Ein älterer Herr erklärte uns, dass man das Haus nur im Zuge einer Führung besuchen könne und dass es diese in spanischer oder englischer Sprache gäbe. Wir kauften die Karten und folgten dann dem netten Herrn in den Eingangsbereich des Hauses, wo alle erstmal Überschuhe anziehen mussten. Zum Erstaunen Michas gab es diesmal sogar Exemplare, die für Schuhgröße 48 ausreichten.

Gamaschen in Übergröße mit Gummizug und Klettverschluss, da passen sogar Michas Füße hinein.

Mit einem "Die Führung würde gleich beginnen..." ließ er uns dann mit den übrigen Besuchern alleine, aber tatsächlich tauchte kaum 5 Minuten später eine junge Chilenin auf, die uns sogar in Spanisch und Englisch begrüßte und jeden nach seinem Herkunftsland fragte. Die Gruppe war bunt zusammengewürfelt und so kamen wir in den Genuss einer sehr guten zweisprachigen Führung, obwohl die spanischen Erklärungen immer etwas ausführlicher waren. Während der Tour durch das Haus stießen noch mehrfach Nachzügler zu unserer Gruppe hinzu, was aber niemanden störte. Diese durften - sie hatten sicher ebenfalls den vollen Preis gezahlt - nach Ende der Besichtigung den Anfang der Tour im Zuge der nächsten Führung mitmachen.
Wie wir im ersten Raum erfuhren wurde das Haus zwischen 1870 und 1878 durch den französischen Architekten Paul Lathoud im Auftrag von Luis Cousiño erbaut und war anschließend Wohnung und Residenz von Isidora Goyenechea, der Witwe des bereits vor Fertigstellung des Hauses an Tuberkulose verstorbenen Bauherrn, sowie ihrer sechs gemeinsamen Kinder.

Seitenfront des Palacio mit ordentlich gestutzten Hecken und sattgrünem Rasen.

Bereits 1760 war der erste Angehörige des ursprünglich aus Spanien/Portugal stammenden Adelsgeschlecht der Cousiños nach Chile übersiedelt. Zwei Generationen später baute Matías Cousiño (1810-1863), der früh verwitwete Vater des Bauherren Don Luis, den Wohlstand der Familie grundlegend aus. Als cleverer Geschäftsmann arbeitete er in den Silberminen von Ramón Goyenechea im Norden Chiles. Nach dessen Tod verwaltete er die Minen weiter und heiratete schließlich die Witwe Goyenechea - zugleich Mutter von Doña Isidora, der späteren Bewohnerin des Palacios Cousiño. Außerdem begann er mit der Erschließung der Steinkohlevorkommen in Lota südlich von Concepción (die erst vor wenigen Jahren geschlossene Mine hatten wir bereits letztes Jahr im Urlaub besucht), beauftragte den Bau zweier Eisenbahnlinien und gründete das noch heute existierende Weingut Cousiño-Macul nahe Santiago. Auch politisch engagierte er sich und brachte es bis zum Senator.

Ein riesiges Eingangsportal beeindruckt Besucher schon von außen.

Don Luis (1835-1873) einziger Sohn und Gesamterbe des von Don Matías aufgebauten Wirtschaftsimperiums heiratete Doña Isidora, die Tochter seiner Stiefmutter, wodurch er den Besitz seiner Familie konsolidierte und den Reichtum noch vergrößerte. Auch er war ein erfolgreicher und weitsichtiger Geschäftsmann, der die technischen Neuerungen seiner Zeit (Maschinen, neue Verfahren) rasch nach Chile brachte und an fortschrittlichen Erfindungen Gefallen fand. Seine Familie besaß beispielsweise den ersten Photoapparat in Chile.
Im noch heute vollständig mit Originalmöbeln eingerichteten Erdgeschoss des Hauses konnte man den Reichtum dieser Familie ausgiebig bewundern, der bereits zu Lebzeiten Doña Isidoras die wohlhabende Bevölkerung Santiagos in Staunen versetzt haben dürfte. Die Ausstattung zeigt europäische Handwerkskunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts auf ihrem höchsten Stand. Angefangen bei den in jedem Raum in anderem Design verlegten Parkettböden aus Zedern-, Walnuss-, Mahagoni- und Ebenholz sowie deutscher Buche und nordamerikanischer Eiche, über die Wandbehänge und Stofftapeten aus handgenähter und bestickter französischer Seide, Brokat, Samt, im Esszimmer sogar aus Leder bis hin zu der mit Bodenmosaiken und Wandgemälden geschmückten und von einem opulenten Kristallkronleuchter beleuchtete Halle, in der eine riesige aus verschiedenfarbigem Marmor erbaute Treppe in das Obergeschoss führt. Vergoldete an gegenüberliegenden Wänden angebrachte Spiegel erinnern an Versailles oder die bayrischen Schlösser König Ludwigs II. und lassen den Besucher in die Unendlichkeit blicken. Jedes Zimmer hat einen individuell gestalteten offenen Kamin, obwohl das gesamte Erdgeschoss über eine Zentralheizung - erhitztes durch Kupferrohre fließendes Wasser, ähnlich einer modernen Fußbodenheizung - verfügte, damals eine technische Neuerung und die absolute Ausnahme in Santiago. Überall stehen speziell für die Familie angefertigte Möbelstücke, die meist das Cousiño-Emblem mit den verschlungenen Buchstaben des Familiennamens tragen. Zu bewundern gibt es außerdem Gemälde, chinesische Vasen, Marmor- und Bronzeskulpturen, feinste Postermöbel, mit Schnitzereien verzierte Tische und Schränke, handbemalte italienische Majolika-Fliesen, feinstes Kristall, Porzellan und Tafelsilber, den allerersten Ein-Personen-Aufzug in Chile, einen Wintergarten, ein Musikzimmer, sowie einen im türkischen Stil eingerichteten Sala de juegos (Rauch- und Spielzimmer). "Luxus pur", so ließe sich das Innere des Palacio Cousiño kurz zusammenfassen und es ist atemberaubend, in welchem Wohlstand Menschen in Chile vor mehr als 100 Jahren leben konnten, wenn sie nur genügend Geld hatten.

Mosaike aus Majolika-Fliesen nicht nur im Gebäude, sondern auch im Garten...

Zu allem Überfluss besaß die Familie ihre eigene Flotte von Handelsschiffen und so wurden die Rohstoffe aus Chile (Kohle, Kupfer, Silber, Steine und Holz) erst nach Europa verschifft, um im Gegenzug die daraus entstandenen Waren (Tafelsilber, Möbel, Fliessen etc.) wieder nach Chile zurück zu bringen. Tatsächlich sind die meisten Einrichtungsgegenstände aus Europa importiert, nicht weil es damals keine chilenischen Handwerksmeister gab, sondern weil es "chic" und "in" war, seinen Wohlstand durch eine französisch-europäische Lebensweise zur Schau zu stellen. Die Familie Cousiño verbrachte dementsprechend auch nur einen Teil des Jahres - September bis März - in Santiago, während sie die restliche Zeit in Paris residierte und so fast 12 Monate Sommer und Sonne genießen konnte. Für die Erziehung der sechs Kinder schließlich sorgten sowohl ein englisches als auch ein französisches Kindermädchen - auch das ein im damaligen Chile seltener Luxus.
Leider durfte man wie üblich im Inneren des Palacios keine Photos machen, dafür gibt es aber auf dessen Homepage eine virtuelle Tour mit einigen Mini-Videoclips der Innenräume (sogar in englischer Sprache).

...und an den verzierten Hauswänden.

Doña Isidora war ebenfalls sehr geschäftssinnig, zudem intelligent, hoch gebildet und von großer Schönheit. Sie führte die verschiedenen Familienunternehmen erfolgreich weiter - besonders die Kohleminen in Lota, wo sie einen Park und ein feudales Wohnhaus errichten ließ, sowie das Weingut, in dem sie neue Rebsorten aus Frankreich einführte, lagen ihr am Herzen. Sie war die zu dieser Zeit reichste Frau in Chile. Doña Isidora starb 1897 in Paris, woraufhin der Besitz unter ihren sechs Kindern aufgeteilt wurde. Noch heute besitzt die Familie das Weingut sowie verschiedene kleinere Unternehmen und die Cousiño-Nachfahren sind im öffentlichen Leben und in der Politik aktiv.
Als der Palacio im Jahr 1940 mit allen darin befindlichen Möbeln, Ausstattungs- und Kunstgegenständen versteigert werden sollte, bezahlte der Alcalde (Bürgermeister) von Santiago Centro die stolze Summe von 3 Millionen Pesos und erwarb die Immobilie für die Stadt. In der Folge wurde der Palacio als Quartier für offizielle Gäste der Stadt benutzt und so schliefen in diesem historischen Gebäude Politiker wie Charles De Gaulle, Golda Meir und Bundespräsident Heinrich Lübke.

Kupferne Baumstumpf-Stühle im Garten, wer hier wohl schon alles gesessen hat?

Im Zuge der Vorbereitungen des Besuches von Königin Elizabeth von England kam es 1968 durch einen Kurzschluss zu einem verheerenden Feuer im Obergeschoss, wodurch in diesem Teil des Hauses die gesamte Einrichtung zerstört wurde. Das Erdgeschoss blieb zum Glück inklusive aller Möbel und sonstiger Ausstattung bis auf kleinere Wasserschäden in den Wänden unversehrt. Inzwischen wurden die betroffenen Zimmer im Obergeschoss zwar wieder restauriert, allerdings mit billigeren Materialien - Parkett und Täfelung aus Oregon-Pinie statt Ebenholz, Walnuss und Zeder sowie einfache Papiertapeten anstelle der wertvollen Wandverkleidungen. Einige originale Möbelstücke, die sich zur Zeit des Brandes nicht im Haus befanden sowie einige Nachbauten oder Schenkungen der Familie schmücken die im Vergleich zum Erdgeschoss kahleren Räume und erinnern so an die Vergänglichkeit aller Reichtümer. Insgesamt ein interessanter Kontrast.


1977 wurde der Palacio als Museum für die Allgemeinheit geöffnet und 1981 erhielt er den Status eines Monumento Nacional. Weiterhin wird das Gebäude noch immer als Sitz des Alcalde von Santiago Centro für offizielle Empfänge (auf der Gartenterrasse) genutzt und es wurde zu diesem Zweck sogar eine moderne Küche eingerichtet.
Warum der Palacio von den deutschen Reiseführern so vernachlässigt wird, kann man kaum verstehen, ist er doch auf jeden Fall einen Besuch wert. Vielleicht liegt es ja nur daran, dass das Gebäude nicht direkt im Zentrum, sondern 2-3 U-Bahn Haltestellen westlich davon liegt. Da Silke an diesem Tag noch arbeiten musste, werden wir sicher irgendwann noch einmal eine gemeinsame Besichtigungstour dieses eindrucksvollen Hauses machen.
Da sich der Palacio quasi bei Michas Institut um die Ecke befindet und obwohl dieses im Februar ja eigentlich geschlossen und somit bis auf eine Sekretärin und eine Putzfrau menschenleer war, durfte unser Besuch einen kurzen Blick in Michas Büro, die übrigen Räume des CMM und nach kurzer Diskussion mit dem Portier sogar in das ältere aber wesentlich hübschere Nachbargebäude mit seinem schattigen Garten werfen. Leider hat die Cafeteria im Februar ebenfalls geschlossen, sonst hätte es sogar noch einen Cappuccino gegeben.
Anschließend ging es durch die im Februar aufgrund der fehlenden Studenten sehr ruhige, ansonsten aber nette und von vielen kleineren teils privaten Universitäten geprägte Umgebung zum Mittagessen in eines der Restaurants, das Micha oft mit seinen Kollegen besucht. Frisch gestärkt machten unsere Gäste dann einen Spaziergang durch den Parque O'Higgins, während Micha im Büro noch einige letzte Kleinigkeiten vor unserem Urlaub erledigte.