Silke und Micha in Chile

Dienstag, 24. April 2007

Naturlehrpfade in der Reserva Nacional Rio Clarillo (Bericht 14)

Tja, so langsam wird es Herbst in Chile. Letzte Woche hatten wir in Santiago schon zwei richtig kühle Tage mit wolkig grauem Himmel und auch die Wettervorhersage für das Wochenende fiel nicht gerade berauschend aus.

Herbstlandschaft in der Reserva Nacional Rio Clarillo.

Nachdem es am Samstag morgen aber einigermaßen sonnig war, beschlossen wir einen kleinen Ausflug - vielleicht schon den letzten vor dem regnerischen chilenischen Winter - zu unternehmen. Als Ziel suchten wir kurzerhand die 1982 gegründete Reserva Nacional Rio Clarillo, ein ca. 13.000 Hektar großes Naturschutzgebiet 50 Kilometer südöstlich von Santiago aus.
Die Fahrt durch die südlichen Stadtteile von Santiago am Samstag vormittag gestaltete sich zwar wieder mal recht mühsam, da viele LKWs und Busse unterwegs waren und in Puente Alto die gesamte Durchfahrtsstraße momentan eine einzige Baustelle ist. Dennoch erreichten wir schließlich, wenn auch etwas gereizt, die Gemeinde Pirque. Vorbei an zwei feudalen Weingütern ging es noch etwa 10 Kilometer weiter durch eine recht ländliche Gegend.

Der Cerro Blanco, leider vor trübem Himmel.

Direkt südlich der nach Osten führenden Straße erhob sich der Cerro Blanco, ein 2200 Meter hoher Berg mit beeindruckend kahl-weißer Spitze. Kurz vor der CONAF-Kontrollstation endete die Teerstraße, wir bezahlten den Eintritt und bekamen von einem netten CONAF-Mitarbeiter einige Hinweise zum Aufbau des Parks.

Die Reserva liegt eingerahmt von bis zu 3500 Meter hohen Gipfeln im Vorgebirge der Anden.

Anschließend legte El Rojo wieder einmal das letzte Stück, 4 Kilometer bis zum eigentlichen Parkeingang und einen weiteren Kilometer im Park, auf einer staubigen aber gut befahrbaren Piste zurück. Wir stellten das Auto auf einem der nicht gerade überfüllten Parkplätze ab und orientierten uns erstmal.

Das steinige Bett des Rio Clarillo.

Durchzogen wird der Park vom Rio Clarillo, der innerhalb des Naturschutzgebietes aus dem Zusammenfluss der beiden Bergbäche Rio Los Lunes und Rio Cipreses entsteht und das Trinkwasser für die Gemeinde Pirque liefert.

Felsige Anstiege rechts und links des Rio Clarillo, bewachsen mit Sträuchern und Kakteen.

Hauptattraktion sind neben den im Sommer viel frequentierten Picknick- und Grillplätzen entlang des befahrbaren Hauptweges die von diesem abzweigenden, drei Wanderpfade, die als Naturlehrpfad angelegt sind. Senderos interpretativos: Quebrada Jonquera (1,2 km, 30 min), Peumo Carlos Díaz (1,7 km, 45 min) und Aliven Mahuida (3,2 km, 90 min). Am Wegrand stehen etliche Tafeln, die die typische Flora und Fauna der Region beschreiben.

Reptilien: Eidechsen, Iguanas und sogar (ungiftige) Schlangen gibt es hier.

Leider haben wir keinen Zorro (=Fuchs) gesehen.

Natürlich konnten wir wieder ein paar botanische Kenntnisse dazulernen. So gibt es hier vorwiegend Hartlaub-Gewächse mit Baumarten wie dem Peumo (eine Lorbeerart), dem Litre und dem Quillay (Seifenrindenbaum), daneben Hartlaub-Sträucher wie Espino (Hagedorn) und Macchia, die teilweise von parasitären Pflanzen (Tristerix) und Flechten (Liquenes) bewachsen sind.


Daneben findet man Zonen der um Santiago üblichen Steppenlandschaft mt Kakteen, Bromelien und dornigen Büschen.


Aufgrund des trockenen Klimas mit 7 nahezu regenlosen Monaten besteht zumindest im Sommer erhöhte Waldbrandgefahr und tatsächlich gab es im Jahr 1946 hier ein verheerendes Feuer, das große Teile des Baumbestandes vernichtete. Natürlich wurde danach wieder aufgeforstet, aber die Zahl wirklich alter Bäume ist verschwindend gering.

Verbrannter Baumstumpf, laut nebenstehender Tafel ein Relikt des Feuers von 1946. Zum Glück hat es nach dem Waldbrand wieder neu ausgetrieben.

In der Tierwelt sind neben etlichen Vogelarten verschiedene Eidechsen - unter anderem auch der chilenische Iguana mit bis zu 50 cm Länge, die Yaca - eine mausähnliche Beutelratte, Conejos (Kaninchen), der chilenische Fuchs und natürlich diverse Insekten und Käfer vertreten. Der größte davon, die Madre de Culebra misst 10 cm - diesem Tierchen möchte man eigentlich lieber nicht begegnen.

Solche unregelmäßigen Spinnennetze sieht man immer wieder - scheint fast als sei die Spinne betrunken gewesen.

Zwischen den großen Felsen sonnte sich eine gut getarnte Eidechse.

Außerdem gibt es in und entlang des Flusses Fische und Kröten. Allerdings scheint der nahende Herbst die meisten Tiere schon ins Winterquartier getrieben zu haben.

Kuriose Felsformationen und Micha als lebende Felsenstütze.

Über den stets gut markierten Weg ging es zu einem Aussichtspunkt, von dem aus man das gesamte Tal überblicken konnte.

Die Aussichtsplattform, maximal für "Diez Personas" zugelassen, ob die Silke wohl aushält?

Tief unter uns der Rio Clarillo, mit dem Steg, den wir zuvor überquert hatten und dem breiten Hauptweg im Hintergrund.

Nach einer kleinen Pause ging es anschließend wieder ins Tal hinunter,


wo wir am Wegrand zwischen verblühten Pflanzen noch vereinzelt bunte Blumen


und ein paar Mora (Brombeeren) entdeckten.


Auch die vielen auf dem Weg liegenden trockenen Blätter kündigen den Herbst an


und zwischen den immergrünen Bäumen sieht man gelb-gefärbte Sträucher.


Herbstliche Stimmung entlang des felsigen Flussbetts des Rio Clarillo.

Im Anschluss an die kleine Wanderung über den Naturlehrpfad spazierten wir noch durch das neu angelegte Arboretum. Entlang eines Rundweges wurden dort auf engstem Raum so ziemlich alle in Mittelchile vertretenen Baumarten angepflanzt und mit großen Hinweistafeln versehen.

Frisch gepflanzte Chile-Palmen, die müssen noch viele Jahre wachsen, bis sie so groß sind, wie die im Parque Nacional La Campana.

Ein schon etwas größerer Peumo-Baum.

Es gibt dort Peumos, Araukarien, Chilepalmen, Murtilla (der Strauch der Murta-Beere, die wir im Urlaub schon gegessen hatten), Lleuque, Colliguay, Litre, Quillay, Cipreses, Canelo (Zimtbaum) und noch zig andere.



Da sich das Wetter am Nachmittag immer mehr eintrübte, machten wir uns anschließend auf den Heimweg.

Auf dem Rückweg, schon einen Kilometer nach dem Parkausgang sah Micha sie dann. Er brachte El Rojo sofort zum Stehen und erntete von Silke zuerst nur einen verwunderten Blick. Auf die Frage, was denn los sei, konnte er nur auf den Weg einige Meter voraus zeigen, denn da saß sie, die schon lange gesuchte...

Mal ganz ohne Terrarium, dafür in Freiheit und zum Anfassen.

chilenische "Araña de Pollito" (=Spinne des kleinen Hühnchens), eine Art Vogelspinne. Durch ihre Größe von deutlich über 10 Zentimetern und die rötliche Färbung war sie auf dem sandigen Fahrweg nicht zu übersehen. Während Silke lieber sitzen blieb, stieg Micha eilig aus dem Auto, um sich das kolossale Exemplar näher anzusehen und zu photographieren. Wie sich herausstellte, hätte er sich aber alle Zeit der Welt lassen können, da die Spinne - wohl durch die kühlen Außentemperaturen - träge an ihrer Position verharrte. Erst durch das Fallenlassen eines kleinen Steinchens in ihrer Nähe, krabbelte sie eilig einen guten Meter weiter Richtung Wegrand und blieb dort wieder sitzen.

Die chilenische Vogelspinne, für den Menschen ungefährlich, aber durch ihre Größe schon irgendwie furchteinflössend.

Nach dieser aufregenden Begegnung verlief die restliche Heimfahrt dann normal, wenn auch der noch immer dichte Verkehr und die Baustelle wieder nervten.

Am Sonntag wurden wir dann bereits um 6:20 Uhr von einem deutlichen Wackeln unseres Bettes geweckt. Rüttelte da jemand am Bettgestell, oder wie? Im Wohnzimmer klapperten zudem die Gläser hörbar im Regal und auf dem Parkplatz sprang sofort eine Autoalarmanlage an. Nach etwa 20 Sekunden war das "kleine" Erdbeben dann aber schon wieder vorbei und wir schliefen noch eine Weile. Erst nach dem Frühstück fanden wir im Internet heraus, dass das Beben eine Stärke von immerhin 5,6 auf der Richterskala hatte und das Epizentrum auch nur 130 Kilometer von Santiago entfernt war. Als so kräftig hatten wir es gar nicht empfunden; entweder waren wir noch im Halbschlaf, oder wir haben uns inzwischen schon an Erdbeben gewöhnt. Schäden gab es wie üblich keine.
Der restliche Tag brachte trübes und kaltes Wetter, das auch bis zum Dienstag andauerte und wodurch sich schon fast die Frage stellte, ob wir nicht die Heizung in unserer Wohnung einschalten sollten. Wir wollten dann aber auch nicht gleich überreagieren, zumal es ja noch nicht Winter ist.
Seit Dienstag nachmittag haben wir wieder Sonne - war also noch nichts mit Regen - und während des Tages ist es auch deutlich wärmer (so um die 25 Grad).

Sonntag, 15. April 2007

La Semana Santa - Ostern in Chile (Bericht 13)

Wie in allen christlichen Ländern hat auch in Chile die Zeit um Ostern einen wichtigen Stellenwert und beeinflusst den Rhythmus des täglichen Lebens. Allerdings gibt es wie schon beim Weihnachtsfest einige Unterschiede zum Osterfest in Deutschland.
Am auffälligsten ist zunächst der Termin, der hier auf der Südhalbkugel eben nicht in den Frühling, sondern in den Herbst fällt. Anders als in Europa, wo das christliche Ostern mit einem heidnischen Fruchtbarkeitsfest (wiedererwachende Natur, keimende und aufblühende Pflanzen, erste Lämmer und Hasen) verschmolz, fällt dieser Aspekt hier in Chile weg. Durch die hohe Quote an Katholiken tritt dafür der christliche Blickwinkel mehr in den Vordergrund und wie überall auf der Welt ist es die aktivste und betriebsamste Zeit für die christliche Kirche im gesamten liturgischen Jahr.

So beginnt die Karwoche, die hier Semana Santa (heilige Woche) heißt am Domingo de Ramos (Palmsonntag) mit einer Messe, in der eine Art Palmzweige geweiht werden. Schon Tage zuvor kann man überall auf den Straßen die Gebinde aus Maisblättern, Stroh und Pflanzenfasern kaufen, die dann von den Gläubigen am Sonntag vor Ostern mit in die Kirche gebracht, dort gesegnet und anschließend zu Hause aufgehängt werden, um so den Segen in die eigene Wohnung zu bringen.

Selbst während des Rodeos in Rancagua fand eine Palmsonntagsmesse statt.

Montag bis Mittwoch lädt dann jede Pfarrei täglich zur Beichte und zur Feier der Eucharistie ein, was viele Chilenen auch nutzen. Die Semana Santa soll so zu einer Zeit der Besinnung und der Buße werden, um sich auf das kommende Osterfest einzustimmen. Das hektische Arbeitsleben verlangsamt sich schon etwas, zumal viele Chilenen die Karwoche für einen einwöchigen Herbsturlaub nutzen.

Noch deutlicher wird dies am Gründonnerstag, der hier einfach nur Jueves Santo heißt, wo ab der Mittagszeit kaum jemand mehr in den Büros anzutreffen ist. Die Fernsehnachrichten zeigen die "Prozession" der 1,5 Millionen Chilenen, die am Gründonnerstag und Karfreitag mit dem Auto Santiago verlassen, was natürlich kilometerlange Staus verursacht. Die restlichen 4,5 Millionen Einwohner strömen, so hat es zumindest den Anschein, in die Innenstadt. Die Läden und Malls quellen jedenfalls aus allen Nähten, denn auch in Chile hat Ostern einen kommerziellen Aspekt.
Genau wie in Deutschland wird am Donnerstag abends in den Kirchen das Einsetzungsamt, die Misa de Ultima Cena gefeiert, um an das letzte Abendmahl Jesu zu erinnern und auch hier werden die üblichen katholischen Riten (Weihe der heiligen Öle, Fußwaschung, Lesung der Leidensgeschichte Jesu, Hostien-Prozession, Nachtwache im Gebet) vollzogen.

Der Viernes Santo (Karfreitag) ist, wie in Deutschland auch ein gesetzlicher Feiertag. Anders als an den bisherigen Feiertagen kehrte aber in Santiago wirklich einmal Ruhe ein. Nicht nur alle Büros und Firmen waren geschlossen, sondern mit Ausnahme einiger großer Supermärkte hatten tatsächlich alle Läden und sogar viele Restaurants einen Ruhetag. Selbst die üblichen 24-Stunden-Service-Dienstleister wie Apotheken und Tankstellen waren unbesetzt. Auf den Straßen in Providencia sah man auch nur wenige Autos und ebenso wenige Fußgänger. Umso mehr ist dafür in den Kirchen los. Neben der Karfreitagsliturgie und den 7 Worten Jesu, den auch aus Deutschland bekannten Gottesdiensten dieses Tages, finden hier in jeder Kirche sogenannte Retiros (meditative Gebetswachen ohne Gesang oder Musik) statt. Wie in Deutschland sind die Kirchen an diesem Tag ungeschmückt (keine Blumen oder Kerzen) und die Darstellungen Jesu mit Tüchern verhangen. Am Abend zieht die Gemeinde den Via Crucis (Kreuzweg) betend durch die umliegenden Straßen. In den Prozessionen werden große Heiligenbilder, Darstellungen von Jesus auf seinem Leidensweg oder Statuen seiner Mutter Maria mitgeführt. Viele Gläubige tragen Kerzen in der Hand und einige schleppen Holzkreuze hinter sich her.

Ein besonderer Via Crucis Viviendo fand zudem nach Einbruch der Dunkelheit in unserem Nachbarstadtteil Las Condes statt. Bereits zum sechsten Mal stellten Jugendliche szenisch die 14 Stationen des Kreuzwegs nach. Er sollte um 19:00 Uhr an der Ecke Avenida Apoquindo mit Américo Vespucio starten. Micha machte sich also eine gute halbe Stunde vorher zu Fuß auf den Weg, fuhr mit der Metro bis zur Endhaltestelle Escuela Militar und suchte dann erstmal den Sammelpunkt. Schon nach kurzem entdeckte er einen Polizisten, der eine Zufahrt zur Apoquindo abgesperrt hatte - ein gutes Zeichen. Als er dann aber um die Ecke bog, war er doch etwas erstaunt. Da lag die riesige mindestens 6-, eher 8-spurige, sonst so lebhafte Hauptverkehrsroute völlig verlassen, weil polizeilich abgesperrt - in Deutschland wohl undenkbar, zumindest für eine "nur" kirchliche Prozession. Einen Häuserblock weiter hatten sich schon einige 100 Menschen versammelt und dazwischen sah man auch schon die kostümierten Römer. Auf einer großen Bühne saß ein junger Pilatus umgeben von einigen Bediensteten ebenfalls in lange "antike" Gewänder gehüllt.

Jesus und Barabas vor Pilatus. Die erste Station des Kreuzwegs auf einer großen Bühne.

Fast pünktlich betraten 2 Minuten nach 19:00 Uhr mehrere kirchliche Würdenträger (u.a. der stellvertretende Erzbischof von Santiago und der örtliche Pfarrer) die Bühne. Nach einem kurzen Gebet wurde die Bibelstelle über die Verurteilung Jesu vor Pilatus vorgelesen und dazu von den Jugendlichen pantomimisch dargestellt. Nach weiteren Gebeten zogen die Priester dann gefolgt von dem von Römern umringten und gefesselten Jesus 100 Meter weiter zur zweiten Station. Die Gläubigen liefen betend seitlich neben der Prozession her - genug Platz hatte man ja auf der breiten Straße. Voraus fuhr ein Wagen mit Lautsprecheranlage. Wieder war eine kleine von Scheinwerfern beleuchtete Bühne aufgebaut und nach gleichem Muster wurde Jesus an dieser zweiten Station das Kreuz, ein mehr als 2 Meter langes blaues Kantholz mit ebensolchem Querbalken, auf die Schultern geladen. Wieder wurden Gebete gesprochen und weiter ging es zur nächsten Station.

Veronica reicht Jesus das Schweißtuch - und erhält dafür den Abdruck seines Gesichts.

Die gesamte Prozession verlief in einer ruhigen, feierlichen Stimmung, was wohl auch durch die Dunkelheit und die zahlreichen Kerzen zustande kam. Die schwach beleuchteten Hochhäuser gaben zudem eine surreale Kulisse ab, die den Gegensatz zwischen unserer modernen Welt und der vor über 2000 Jahren geschehenen Passion Jesu herausstellte. Die Andacht der Chilenen wurde auch durch die Getränke- und Süßigkeitenverkäufer nicht gestört, die den Zug begleiteten und vor allem von Kindern aber auch von einigen Erwachsenen frequentiert wurden. In Deutschland so auch nicht vorstellbar, hier aber trotz der Stille und inneren Einkehr eben nicht laut oder störend.

Jesus bricht unter der Last des Kreuzes zusammen.

Nach fast 2 Kilometern und 10 Stationen erreichte die Prozession schließlich die Municipalidad von Las Condes direkt an der Avenida Apoquindo. Vor dem Rathaus war nochmals eine große Bühne aufgebaut und dort fanden die letzten 4 Stationen des Kreuzwegs statt. Der Jesus-Darsteller wurde ans Kreuz gebunden...

Das Kreuz wird aufgerichtet.

... und "starb" unter dramatischer Musik, lautem Donner und farblichen Lichtwechseln...

Jesus stirbt am Kreuz.

... danach wurde er vom Kreuz abgenommen und in ein aus dunklem Zeltstoff aufgebautes Felsengrab direkt vor dem Rathaus gelegt. Nach fast 2 Stunden endete der Kreuzweg mit einem abschließenden Gebet für die im Mai stattfindende lateinamerikanische Bischofskonferenz in Brasilien und die Avenida Apoquindo konnte nach dem Abbau aller Bühnen wohl am späteren Abend auch wieder befahren werden. Micha hat dieser Via Crucis jedenfalls sehr gut gefallen.

Wie überall ist der Karfreitag auch hier in Chile ein Fasttag. Gläubige Christen essen an diesem Tag also kein Fleisch, sondern nur Fisch - dessen Konsum um gut die Hälfte zunimmt, Gemüse, Pasta oder Süßspeisen. Die Fernsehnachrichten zeigen in der Karwoche ausführlich die Beschau der Fische und Meeresfrüchte durch die Vertreter des Gesundheitsamtes, speziell in den großen Markthallen, die sich in der Semana Santa verstärkt vom frischen Zustand und der guten Qualität der Meerestiere überzeugen. Dies geht - typisch chilenisch - einher mit Warnungen vor Fischvergiftung und Ratschlägen, wie man selbst den Frischegrad eines Fisches überprüfen kann und wie die Meeresfrüchte gekocht und verzehrt werden sollten. Chile-typisch gibt es auch die Empanadas de vigilia, gefüllt mit Meeresfrüchten oder mit Gemüse (schon fast wie Maultaschen) und im Süden, wo der Einfluss der deutschen Kolonisation zum Tragen kommt, Manzanas picada (panierte Äpfel=Apfelküchlein).
Auch in den Medien spürt man das nahende Osterfest. Im Fernsehen werden die üblichen Filme und Reportagen über das Leben und Sterben Christi gezeigt. Viele alte Filme wie Die 10 Gebote, Quo Vadis, Ben Hur, etc. werden wieder ausgegraben und natürlich werden gleich auf mehreren Programmen die Papstmessen und der Kreuzweg aus Rom, sowie der Segen Urbi et Orbi ausgestrahlt. Das Radio sendet während der Kartage (Freitag und Samstag) teilweise Meditationsprogramme und traurige Musik.

Der Sábado Santo oder Sábado de Gloria ist dann wieder ein fast normaler Samstag. Er wird von vielen zum nochmaligen vorösterlichen Einkaufen genutzt und in den Kirchen finden wieder Retiros statt; wer also noch ein wenig Ruhe und Besinnlichkeit sucht, wird dort sicher fündig.
Am Abend und in der Nacht wird dann bereits die Auferstehungsmesse die Vigilia Pascua gefeiert, ebenfalls mit dem aus Deutschland bekannten katholischen Ritus (Silke und Micha waren um 23:00 Uhr in der alten Franziskus-Kirche an der Alameda). Vor der Kirche wird ein Osterfeuer entzündet, die Osterkerze geweiht und anschließend das Feuer an alle Teilnehmer der Messe weitergegeben. Mit brennenden Kerzen, die man hier allerdings selbst mit zur Kirche bringen muss, feiert man dann die Noche de la luz. Nach mehreren Lesungen aus dem alten Testament erstrahlen alle Lichter in der Kirche und das Läuten der Glocken verkündet die Resurrección del Señor (Auferstehung Jesu). Auch das ein sehr feierlicher und schöner Gottesdienst.
Ein paar Straßen weiter auf der Plaza Italia feierten zudem mehrere Tausend Jugendliche mit einem großen Osterfeuer.

Der Ostersonntag (Domingo de Pascua) kann dann ganz in Ruhe mit der Familie verbracht werden. Man trifft sich, isst zusammen und verbringt den Tag miteinander - auch wir haben ja fleißig mit den Verwandten telefoniert.
In Chile werden zwar zu Ostern keine gekochten und gefärbten Eier versteckt, dafür verschenkt man aber Süßigkeiten, Schokoeier (huevitos) und Schokohasen (conejos de chocolate) und es gibt Pan de Pascua (Osterbrot) oder auch Rosca de Pascua (eine Art Teigschnecke).

Schokoeier gibt es hier in Großpackungen zu 20, 30 oder 50 Stück, die auch von jedem Supermarkt in riesigen Mengen und immer gleicher Produktvielfalt verkauft und wohl von jeder chilenischen Familie gekauft werden. Verglichen mit Deutschland sind die Preise eher günstig.

Ostereier-Großpackungen. Die Geschmacksrichtungen reichen von reiner Vollmilchschokolade, über mit Nusscreme, Erdbeercreme und Karamell gefüllten Eiern bis hin zu mit Schokolade überzogenen Marshmalloweiern.

Die viel selteneren Konfiserie-Schokohasen und -eier sind zwar teurer, aber immer noch billiger als in Deutschland.
Natürlich vermisst besonders Micha die deutschen Ostereier. Hier in Chile gibt es bestimmte Leckereien (Nougateier, Milka-Pasteteneier etc.) nicht und so musste er halt erstmal alle Sorten durchprobieren, bis er seine neuen Favoriten gefunden hat.

Nachdem Silke und Micha wohl artig genug waren, konnten beide am Ostersonntag morgens in ihrer Wohnung eine ganze Menge versteckter Süßigkeiten suchen:

Silke's Osternest mit eher ausgefallenen Geschmacksrichtungen: Großes Kinderüberraschungsei (Das nenne ich mal ein Ü-Ei!
Eine "KINDER SORPRESA MAXI" mit 1 SORPRESA GIGANTE!), Marshmalloweier, viele Huevitos de chocolate mit Manjar-, Erdbeer- und Orangengeschmack und einem Conejo de gomita (Osterhase aus Gummibärchenmasse), sowie das Pintame-Set (siehe unten).

Micha's eher traditionelles Osternest mit leckeren Marzipaneiern, einem Schokohasen, der gerade aus dem Ei schlüpft (?) und einem Shaker für den Pisco Sour - wurde am Ostersonntag gleich ausprobiert (schmeckt damit gleich noch besser), passend gefüllt mit einigen Alkoholpralinen und vielen Mandelcreme-Eiern.

Am Ostersonntag ließen wir es uns dann auch einfach nur gut gehen. Völlig entspannt und ohne Stress verbrachten wir den Tag in unserer ein wenig österlich dekorierten Wohnung - einen Teil der Dekosachen hatten wir ja mit nach Chile gebracht, wenn auch die von Micha bemalten Eier noch in Deutschland waren.

Unser österlich dekoriertes Wohnzimmerregal.

Das in unserem Urlaub gekaufte Kreuz, zusammen mit etwas Osterschmuck.

Zum Glück hatte er seine Zeichentusche und Federhalter mitgebracht und so konnte er, wie jedes Jahr, einige Eier, diesmal mit Motiven der Passion Christi verzieren. Klarlack und dünnes rotes Band zum Aufhängen war auch schnell gekauft und so durfte unsere Araukarie als Osterstrauch fungieren.

Die Balkonaraukarie diesmal als Osterstrauch. Mit nur 4 neuen Eiern - mehr Zeit hatte Micha dieses Jahr leider nicht.

Da in Chile ausgeblasene und bemalte Ostereier völlig unbekannt sind, finden hier natürlich keine Ostereiermärkte statt, was Micha schon irgendwie fehlte. Aber vielleicht ist das ja auch die profitträchtige Marktlücke für das kommende Jahr.

Silke hatte vom Osterhasen - wohl wegen ihrer Vorliebe für das Kinderfernsehprogramm Art-Attack - ein spezielles Geschenk bekommen. In einer Schachtel lagen 4 weiße Schokoeier und zwei Hasen, ebenfalls aus weißer Schokolade. Dazu kamen noch ein Plastikpinsel und zwei Töpfchen mit Zuckerglasur-Lebensmittelfarbe. Außen drauf stand Pintame (Mal mich an) und das tat Silke dann auch.



Mit einem selbstgemixten Pisco Sour, einer von Silke zubereiteten leckeren Lammkeule mit Kartoffelgratin und Speckbohnen und einem guten chilenischen Wein ging dann das Osterfest zu Ende, denn der Ostermontag ist in Chile leider schon wieder ein normaler Arbeitstag.

Dafür kann man am Sonntag nach Ostern in über 90 chilenischen Städten und Dörfern ein ganztägiges religiöses Spektakel beobachten. Die Fiesta del Cuasimodo, einzigartig in der gesamten katholischen Welt und irgendwie auch nur in Chile vorstellbar.
Das Fest findet in vielen Gegenden von Zentralchile, besonders in den Gemeinden Cerro Navia, Quilicura, Peñaflor, Renca, La Florida, Maipú und La Reina rund um Santiago statt. Colina, etwa 20 Kilometer nördlich von Santiago gelegen, wirbt zudem damit, das größte Cuasimodo in ganz Chile zu veranstalten und so brachte der frisch geputzte und betankte El Rojo Silke und Micha am Sonntag eben dorthin. Und tatsächlich verspricht die Werbung nicht zu viel...
Das Cuasimodo beginnt mit einem morgendlichen Gottesdienst. An der Kirche treffen sich währenddessen berittene Huasos und im Anschluss an die Messe folgt eine Prozession durch die gesamte Gemeinde mit Zwischenstopps an mehreren Kapellen und den Häusern der Kranken und Alten. Wir kamen etwa um 10:30 Uhr in Colina an, fuhren zweimal durch das lang gestreckte Stadtzentrum, konnten aber trotz grobem Streckenplan aus dem Internet die Prozession zunächst nicht finden. Silke war schon etwas genervt. Wir parkten El Rojo dann aber einfach an der Plaza und Micha konnte Silke überreden der Prozession zu Fuß entgegenzulaufen. Leider gab es auf dem Lageplan keinen Maßstab und die Entfernungen waren wieder einmal deutlich größer als gedacht. Nach einem halben Kilometer sahen wir aber immer wieder wartende Leute am Straßenrand stehen und schließlich waren auch die geschmückten Häuser ein deutliches Anzeichen, dass wir auf dem richtigen Weg waren.

Überall in weiß und gelb geschmückte Straßen...

und auch viele Häuser am Weg...

hatten sich herausgeputzt und am Straßenrand warteten viele Chilenen.

Nach einer halben Stunde anstrengenden, schattenlosen Fußmarsches und immer mehr Zuschauern am Straßenrand hatten wir es dann geschafft; die Prozession kam uns direkt entgegen. Begleitet von den Huasos zog der Priester in einer alten, festlich dekorierten Kutsche sitzend an uns vorbei.

Angeführt wird der Zug von Reitern mit gelb-weißen Fahnen und einem geschmückten einfachen Kreuz.

Die fast schon antike Kutsche mit dem Priester, gezogen von zwei schnellen Pferden und gelenkt von zwei Huasos, zugleich Kutscher und "Leibwache".

Sinn der Prozession ist es die Kranken, Alten und Gebrechlichen zu besuchen, denen es an Ostern nicht möglich war, in die Kirche zu kommen und ihnen die heilige Kommunion und den Segen des Auferstandenen zu bringen und tatsächlich sahen wir schon vorher in einigen Hauseingängen kleine Altäre und immer wieder Leute im Rollstuhl oder Ältere auf Stühlen sitzend und auf die Prozession wartend.


Hinter der Kutsche folgt streckenweise im Galopp der Tross der Reiter, stolze Huasos in ihrer üblichen Tracht mit Reitstiefeln, Sporen, dunkler Hose, bunt-kariertem Hemd...


... und kurzer paillettenbestickter und fransenbesetzter Weste. Anstelle des üblichen Hutes tragen die Reiter an diesem Tag einen Pañuelo, eine Art Kopftuch, das ebenfalls mit christlichen Symbolen bestickt ist und gegen die immer noch starke Herbstsonne (nach zwei wolkig-trüben Tagen hatte es wieder gut 25 Grad) schützen soll.

Aufgesticktes Kreuz und Ähren auf der weißen Manta.

Kelch und Hostie aus goldenen Pailletten.

Im Gegensatz zu den eher stillen und besinnlichen Feiern der Semana Santa, überwiegen hier Lautstärke und bunte Farben. Neben dem Weiß-Gelb, den Farben der katholischen Kirche prägen die chilenischen Fahnen das Bild.

Viele der Reiter tragen symbolische Hellebarden und chilenische Flaggen.

An die Stelle der traurigen Passionsgeschichte tritt die freudige Nachricht "Jesus Christus ist auferstanden", die an diesem Tag den Kranken und Alten gebracht werden soll. Die Reiter rufen dann auch unablässig "Sancto, Sancto" - Heilig, Heilig oder "Viva Cristo Rey" - lang lebe Christus, der König. Zudem läuten einige Huasos ständig kleine Glocken, um die Ankunft des Heiligen Sakraments in Form der Hostien, die der Priester bei sich trägt, anzukündigen.

Vorne eine Cuasimodista mit Glocke in der Hand.

In Colina gibt es 11 Clubs von Cuasimodistas, die jeweils mit einer Abordnung von über 100 Reitern in der Prozession vertreten sind. Insgesamt kommt man so auf weit mehr als 1000 (tausend !) Berittene - eine stolze Zahl; so viele Pferde hatten wir noch nie gesehen. Angeführt wird jedes Kontingent von einem Reiter mit einer Standarte, die den Namen des Clubs angibt und mit einem religiösen Leitspruch oder einem Bild verziert ist.

Der Club San Miguel - wäre ja fast was für Micha.

Der Club Esmeralda (Smaragd), mit dem Leitspruch "Viva Cristo Rey".

Der Ausdruck Cuasimodo stammt übrigens von dem lateinischen Eröffnungswort "Quasi modo geniti infantes..." (Wie die neugeborenen Kindlein, 1. Petrusbrief, 2,2) der Messe des ersten Sonntags nach Ostern und wurde namensgebend für die Prozession. Seit dem 16. Jahrhundert besuchte der Priester an diesem Tag die Kranken und Schwachen, um mit ihnen zu beten und ihnen die heilige Kommunion und die Nachricht von der Auferstehung des Herrn zu bringen. Die Hostien wurden dabei in Gefäßen aus Gold oder Silber transportiert. Zudem hatten die Priester meist ein wertvolles Kreuz, einen Silberkelch und eventuell in Edelmetall gefasste Reliquien bei sich. Dies rief des öfteren Diebe und Wegelagerer auf den Plan, die es auf die Wertgegenstände abgesehen hatten. Um Überfällen vorzubeugen, wurde der Priester bald nur noch in einer geschlossenen Kutsche durch die Gemeinde gefahren und ihm wurde eine Leibwache aus bewaffneten Huaso-Reitern zur Seite gestellt.


Auf ihrem kilometerlangen Weg wurde die Eskorte mit Wein oder Chicha versorgt, um den "polvo del camino" (Straßenstaub) aus den Kehlen zu spülen. Am Ende des Tages stand dann immer eine Messe und anschließend wurde mit Wein und üppigem Essen gefeiert, während die Huasos Kunststücke mit ihren Pferden vorführten.
Die Tradition überdauerte die Jahrhunderte bis zur Gegenwart, obwohl Banditenüberfälle schon lange nicht mehr an der Tagesordnung sind. So besteht die berittene Leibwache inzwischen nicht mehr nur aus Männern, sondern auch aus vielen Frauen und Kindern, die Stabwaffen sind nur noch aus Holz und dienen eher der Befestigung der Fahnen und in vielen Gemeinden nehmen nicht nur Reiter, sondern auch Fahrrad- und Motorradfahrer oder rennende Fußgänger an der Prozession teil.

In Colina nur ganz vereinzelt am Ende des Zuges zu sehen: Fahrräder.

Die alte Tradition ist also mehr als lebendig und es erscheint fast so, als ob der halbe Ort aktiv an dem "Correr a Cristo" (Lauf zu Christus) teilnimmt, während die andere Hälfte als Zuschauer am Weg steht.

Nach einer guten viertel Stunde war die gesamte Prozession an uns vorübergezogen.