Silke und Micha in Chile

Sonntag, 18. Mai 2008

Asche auf die Häupter

Wie die meisten Leser unseres Blogs wahrscheinlich aus den internationalen Nachrichten erfahren haben, erwachte am 2. Mai, passend zu Michas Geburtstag, der Vulkan Chaitén im Süden Chiles nach langer Zeit wieder zum Leben. Anders als beim Ausbruch des Llaima im Januar spuckt der Chaitén seitdem aber keine Lava sondern hauptsächlich Asche, was für die Bewohner der betroffenen Region sowie für die Natur in großem Umkreis allerdings ein wesentlich größeres Problem darstellt.

Eine Chronik der Ereignisse:
Bereits ab dem 1. Mai wurde die Gegend um Chaitén, Futaleufú und Palena in der 10. Region (Región de los Lagos) von etwa 60 kleineren Erdbeben mit einer Stärke von Grad 3-5 auf der Richterskala erschüttert. Zunächst ging man noch von tektonischen Beben aus, im Laufe des Tages wies die Auswertung der seismischen Aufzeichnungen jedoch immer deutlicher auf eine vulkanische Aktivität als Ursache der Erschütterungen hin. Es gab zwar weder Schäden noch Verletzte, die Bewohner der Gegend waren aber verständlicherweise beunruhigt.

Eine Karte der Region - zum Vergrößern einfach anklicken (Turistel)

In der Nacht zum 2. Mai kam es dann zu einem weiteren starken Beben und am Morgen des 2. Mai stand eine mehrere Kilometer hohe Rauchsäule über den südlichen Ausläufern des Parque Pumalin. Die Befürchtungen der Bevölkerung waren also eingetreten. Verantwortliche hielten die Ereignisse zunächst für Anzeichen eines Ausbruches des Vulkans Michimahuida, der zuletzt vor 170 Jahren aktiv war. Erst um die Mittagszeit brachten beim Überfliegen der Berge gemachte Luftaufnahmen Klarheit darüber, dass es sich tatsächlich um einen Ausbruch des Vulkans Chaitén handelte. Dies kam völlig überraschend, da der nur 1100m hohe Kegel lange Zeit als nicht aktiv galt, lag sein letzter Ausbruch doch schon etwa 9000 Jahren zurück.

Riesige Mengen an Asche schießen aus der Caldera des Vulkans in die Höhe (Photo: El Mercurio).

Mit dieser Erkenntnis stieg zugleich das Risiko, da sich der Vulkan Chaitén nur 10km nord-östlich des gleichnamigen Ortes befindet, viel näher als der mehr als 30km entfernte Michimahuida. Zudem ließ sich nur schwer abschätzen, wie groß die nach der langen Ruhephase von ihm ausgehende Gefahr wirklich ist. Klar war nur, dass es sich schon jetzt sichtbar um einen sehr starken Ausbruch handelte. Bereits am Nachmittag evakuierte man daher etwa 300 Menschen aus der unmittelbaren Umgebung des Vulkans. Drei Schiffe der Marine wurden vor die Küste von Chaitén verlegt, um bei einer eventuell notwendigen Evakuierung der Bevölkerung ausreichend Transportkapazitäten zur Verfügung zu haben. Auf Anweisung der Präsidentin machten sich bereits am Nachmittag der Innenminister und der Verteidigungsminister auf den Weg und anschließend vor Ort ein Bild über die Lage.

Wie ein riesiger Deckel stoppt erst die Stratosphäre in 20km Höhe den weiteren Aufstieg der Rauchwolke, die nicht nur vom Meer, sondern selbst aus der 200km nord-westlich gelegenen Hafenstadt Puerto Montt zu sehen war (Photo: El Mercurio).

Die mit bis zu 100 Stundenkilometern aus dem Vulkankrater in die Atmosphäre geschleuderte heiße Asche wurde vom Wind in süd-östliche Richtung geblasen, über einen Landstrich von bis zu 300km Länge verteilt und legte sich wie feiner Schnee großflächigen auch in den Ortschaften Futaleufú, Palena und bis nach Argentinien hinein ab.

Kein Schnee, sondern Asche (Photo: El Mercurio).

Die berühmte Carretera Austral, die als einzige Straße von Chaitén aus nach Süden führt war durch eine dicke Ascheschicht unpassierbar geworden, was den Küstenort von der Außenwelt abschnitt. Die etwa 1000 Bewohner von Palena baten um Hilfe oder Evakuierung, da der heiße Niederschlag aus Asche und Staub ihren Wohnort bereits zentimeterhoch bedeckte und die Luft nur schwer atembar sei.

Gespenstische Stimmung vor schwarzem Horizont in Futaleufú (Photo: El Mercurio).

Dies gestaltete sich allerdings schwierig, zumal die dichten grauen Rauchschwaden den Flugverkehr in weitem Umkreis stark beeinträchtigten und so eine Evakuierung auf dem Luftweg unmöglich machten. Zudem setzt der feine Aschestaub Hubschraubertriebwerke und Flugzeugturbinen zu, was sogar einen Militärhelikopter zur Notlandung zwang. Die Evakuierung musste daher über Land und von Chaitén aus per Schiff erfolgen. Tatsächlich wurden bis zum Abend 800 Menschen hauptsächlich Alte, Frauen und Kinder aus dem zum Glück nur dünn besiedelten Gebiet mit Schiffen nach Puerto Montt und Castro bzw. Quellón auf Chiloé transportiert und dort in eilig eingerichteten Notunterkünften untergebracht.

(Photo: El Mercurio)

Am nächsten Tag hatte ein Team aus Vulkanologen sowie Vertreter der Regierung und des nationalen Notfallmanagements (Onemi) die Lage als weiterhin kritisch eingestuft. Die Alerta Roja (höchste Alarmstufe) bleibe bestehen, da momentan niemand vorhersagen könne, wie sich die Lage entwickeln würde. Man hätte einfach keine Vergleichsdaten - kein Wunder, da beim letzten Ausbruch vor 9000 Jahren wohl kaum jemand Aufzeichnungen gemacht hatte. Voraussagen über die Dauer und den weiteren Verlauf dieser Naturkatastrophe seien nur sehr grob möglich. Schätzungen des Zeitraumes lägen zwischen Tagen und mehreren Monaten. Zudem bestehe aufgrund des hohen Drucks in der Magmakammer die Gefahr der Rissbildung an den momentan noch intakten Flanken des Vulkans. Dies könne schlimmstenfalls zu einem explosionsartigen Absprengen des Kraters und dem Einsturz des Lavadomes mit nachfolgender pyroklastischer Welle (ein bis zu 400 Stundenkilometer schneller Strom aus heißem Gas, Staub und Lava, der mit 500-800 Grad Celcius alles auf seinem Weg verbrennt) führen.

Auf der Fahrt aus der Gefahrenzone; pro Person nur je ein Gepäckstück mit dem Allernötigsten (Photo: El Mercurio)

Um die Bevölkerung vor den schwefel- und phosphorhaltigen Dämpfen und der leicht inhalierbaren Asche des Vulkans zu schützen wurden 9000 Grobstaubfilter sowie Kohlefilter-Gasmasken verteilt. Trotzdem meldeten sich Dutzende Menschen mit Atemwegsbeschwerden und Reizungen der Augen und Schleimhäute. Zudem war es nötig mit einem Militärschiff sowie mehreren Tanklastern mehr als 100.000 Liter Trinkwasser heranzuschaffen, da das Oberflächenwasser und die örtlichen Wasserreservoirs durch den Ascheniederschlag kontaminiert waren. Besonders stark betroffen waren Futaleufú und Palena, wo die Trinkwasserversorgung vollständig zusammengebrochen war.

Trinkwasser nur aus dem Tankwagen (Photo: El Mercurio)

Bis Samstag sollten 2000 Personen evakuiert werden, tatsächlich waren es jedoch am Freitagabend - nach nur einem Tag - schon mehr als 4000 (3000 über das Meer, 1000 über Land), was vom Innenminister als Erfolg und große logistische Leistung hervorgehoben wurde. Am Samstag war Chaitén mit seinen ursprünglich 4500 Einwohnern schon fast eine Geisterstadt. Nur etwa 300 Menschen, vor allem Militär, Polizei und Hilfskräfte des Roten Kreuz seien noch vor Ort. Die Mehrzahl der Evakuierten konnte bei ihren Angehörigen oder bei Bekannten unterkommen, der Rest werde auf Notunterkünfte in Puerto Montt und Chiloé verteilt.
Am 04.05. besuchte die Präsidentin die Region um Chaitén, um sich persönlich ein Bild der Lage zu verschaffen. Auf der Tagesordnung standen Treffen mit Verantwortlichen des Notfallteams, Bürgermeistern und Vertretern der Regionalverwaltung (Intendencia). Anschließend besuchte die Regierungschefin eine der Notunterkünfte in Puerto Montt und traf so auch mit unmittelbar Betroffenen zusammen.

Die Präsidentin vor Ort (Photo: El Mercurio)

Die Luftwaffe hatte inzwischen eine Luftbrücke in die Region eingerichtet und das Hospitalschiff der Marine lag bei Chaitén vor Anker. Trotzdem gab es an diesem Tag das erste Todesopfer der Naturkatastrophe - eine 92 jährige Frau war auf der Fährüberfahrt nach Puerto Montt an einem Herzstillstand verstorben. Die Zahl der Einwohner von Chaitén hatte sich bis zum Abend nochmals halbiert. Durch die verlassenen Straßen patrouillierten Polizisten, um das Eigentum der abwesenden Bewohner zu schützen und Plünderungen vorzubeugen.
Auf argentinischer Seite führte der nur langsam nachlassende Ascheniederschlag der kontinuierlich andauernden Eruption zu Einschränkungen im Tourismus, die Städte Esquel und Trevelin waren ebenfalls mit einer zentimeterdicken Ascheschicht überzogen, Flüge wurden gestrichen oder umgeleitet, Schulen blieben mehrere Tage lang geschlossen.

Schönes Wetter und idyllische Landschaft, wenn da die riesige Rauchwolke am Horizont nicht wäre (Photo: El Mercurio)

Aufgrund des immer noch starken Ascheregens begann man am 05.05. mit der Evakuierung des 150km vom Vulkan entfernten Ortes Futaleufú. Die graue Schicht war inzwischen durch Feuchtigkeit und gefallene Niederschläge hart wie Zement geworden. Lebensmittel- und vor allem Wasserknappheit gaben schließlich den Ausschlag und so wurden zunächst 50 Freiwillige durch die chilenische Luftwaffe ausgeflogen. Bis zum Mittag war allerdings bereits die Hälfte der 1200 Bewohner mittels Bussen aus Futaleufú evakuiert.

Verlassene Kühe inmitten der Aschewüste (Photo: El Mercurio)

Die Präsidentin, noch vor Ort, führte weitere Gespräche und traf sich in Futaleufú auch mit einigen Bauern der Gegend, die natürlich vorwiegend um ihre Tierbestände (circa 5000 Kühe sowie Schafe, viele Pferde und Haustiere) besorgt waren. Aufgrund der gefallenen Asche finden diese kaum noch Nahrung auf den Weiden. Die Ackerflächen sind durch den hohen Schwefel- und Phosphorgehalt der Asche stark vergiftet und können voraussichtlich auf mehrere Jahre nicht genutzt werden. Die Präsidentin, deren Gegenwart zugleich ein wichtiges Zeichen für die Betroffenen war, versprach den Bauern finanzielle Unterstützung sowie weitere Hilfe. Tiere könnten mit der Hilfe des Militärs nach Puerto Montt gebracht und dort verkauft werden.

(Photo: El Mercurio)

Nachdem der Vulkan sich Tags zuvor etwas beruhigt hatte, brachte der 06.05. eine neue starke Eruption mit erheblich verstärktem Auswurf weiteren vulkanischen Materials, Gesteinsbrocken und heftigem Gasaustritt aus dem Krater. Aufgrund einer durch diese Entwicklung möglichen Explosion innerhalb der Caldera mit nachfolgend zu erwartenden Lavaströmen, die in nur 20 Minuten den Ort Chaitén erreichen würden, wurde eine vollständige Evakuierung des Gebiets innerhalb eines zunächst 20km, später 50km Radius um den Vulkan angeordnet. Die verbliebenen 250 Personen wurden zwangsweise abtransportiert und selbst die Militärs, Polizeikräfte, das Rettungspersonal und die Pressevertreter wurden abgezogen.

Nach einer Winddrehung reicht die Rauchfahne des Vulkans bis an die mehr als 2000km entfernte Atlantikküste Argentiniens (Photo: Google-Earth, El Mercurio)

Die Regierung hat inzwischen ein Hilfspaket für alle Betroffenen vereinbart. Die Menschen, die durch die Naturgewalten fast alles verloren haben, erhalten zunächst ein Empfangsgeld, danach Kompensationszahlungen, eine Gutschrift von 2 Millionen Pesos (3000 Euro) pro Familie sowie einen Schuldenerlass bei allen staatlichen Einrichtungen. Subventionen und Unterstützung bei der Jobsuche an ihren neuen Wohnorten sind ebenfalls im Gespräch. Die katholische Kirche hat darüber hinaus ein Spendenkonto eingerichtet und sammelt auch Sachspenden. (Nachdem Silke eine Woche vorher in La Ligua ja groß eingekauft hatte, sortierten wir einige ältere Kleidungsstücke aus und brachten diese direkt zu einer der Sammelstellen).

To be continued ...

Donnerstag, 8. Mai 2008

Winterpullis im Dutzend

Nachdem nun doch so langsam der Herbst in Chile Einzug hält - wir hatten immerhin schon einen Tag mit kräftigem Regen, die Temperaturen liegen nachts bei nur noch 5-8 Grad und das Smog-Niveau (vgl. unseren Bericht aus dem letzten Jahr) steigt - wird es Zeit die warme Winterkleidung herauszusuchen und sich eventuell noch einen neuen Pullover zu kaufen. Aus diesem Grund fuhren wir am letzten Samstag mit dem Auto in das Woll-Zentrum Mittelchiles.

Herbst in Chile, in den Anden liegt bereits Schnee.

Dieses liegt in der Gemeinde La Ligua (Región de Valparaíso), etwa 150km nord-westlich von Santiago und so machten wir uns bei sonnigem Wetter über die Ruta 5 nach Norden auf den Weg. An zwei Mautstellen bezahlten wir die üblichen Autobahngebühren, die dritte umfuhren wir dann aber, zumal die Durchfahrt durch den Tunnel El Melon am Wochenende mit horrenden 3200 Pesos (fast 5 Euro) zu Buche schlägt und die alte Serpentinenstraße über die gleichnamige Cuesta (Anhöhe) der Küstenkordillere nicht viel weiter und landschaftlich sowieso schöner als ein Tunnel ist.
Schließlich bogen wir von der Ruta 5 nach Osten ab und erreichten kurz darauf den 1754 von Spaniern gegründeten Ort La Ligua, der heute etwa 15.000 Einwohner hat. Tatsächlich war das Gebiet bereits viel früher von den Ureinwohnern (der Molle-Kultur, den Aymara aus dem Norden sowie den Mapuche aus dem Süden) besiedelt und daher stammt der Name des Ortes wohl entweder vom Mapuche Wort "Lihuen" (der Morgen/der Sonnenaufgang) oder - viel passender - aus der Quechua-Sprache, wo er "Ort an dem Wolle für den Haushalt gewebt wird" bedeutet.

Büsche und felsige Landschaft auf dem Weg; hier wurde in früheren Zeiten Gold gewaschen.

Während der spanischen Kolonialzeit beruhte die Wirtschaft der Region hauptsächlich auf dem Abbau von (Wasch-)Gold sowie der Landwirtschaft und auch heute noch werden in den fruchtbaren Tälern mit ihrem warmen Klima vor allem Palta (Avocados), Quitten, Orangen, Walnüsse, Lucumas und Chirimoyas geerntet. Die in der Gegend alte und lange gepflegte Tradition der Wollverarbeitung und Textilherstellung gewann erst am Beginn des 20. Jahrhunderts vollständig die Oberhand. Ein Grund hierfür waren sicher die aus Europa eingeführten und seit dieser Zeit größtenteils benutzten Maschinen, die eine enorme Produktionssteigerung erlaubten, auch wenn selbst heute noch einige Betriebe nach den althergebrachten handwerklichen Methoden ihrer Vorfahren kunstvoll Kleidung herstellen. Ab den 1970er Jahren wurden die ursprünglichen Waren (Ponchos, Chamantos, Bett- und Wolldecken) mehr und mehr durch halbindustrielle Produkte (Kleider, Pullover, Jacken, Umhänge, Schals, Socken, Handschuhe) ersetzt.
Obwohl es auch in La Ligua etliche Läden mit Woll- und Stoffprodukten gibt, liegt das eigentliche Verkaufszentrum wenige Kilometer nördlich, in dem kleinen Dorf Valle Hermoso (schönes Tal), wo laut chilenischem Reiseführer die "Wiege der Textilien" steht und so fuhren wir zunächst dorthin.
Regelmäßige Leser unseres Blogs werden sich eventuell an den Bericht aus Pomaire erinnern und genau wie dort besteht das gesamte Dorf eigentlich nur aus einer langen Straße, die sich an dem fast ausgetrockneten Bachbett des Río Ligua entlangzieht, an der sich aber wie in Pomaire ein Laden an den anderen reiht - natürlich hier eben mit Strickereien, anstelle der Töpferwaren.


Aufgrund der Menschmassen, die an diesem Tag in Valle Hermoso unterwegs waren, hatten wir zunächst Mühe einen Parkplatz zu finden und so stellten wir El Rojo fast am gegenüberliegenden Ortsausgang ab und liefen die Straße sozusagen rückwärts von Nord-nach-Süd entlang. Die meisten Geschäfte hatten ihre Waren zur Ansicht im Freien hängen, so dass man sich bereits vom Gehweg aus ein grobes Bild machen konnte. Das Angebot ist sehr vielfältig und beinhaltet jetzt im Herbst vor allem Strickpullis, lange Jacken, Mützen, Schals, Handschuhe in allen möglichen Farben, Designs und Wollarten (Lama, Alpaka, Baumwolle und Synthetikfasern).

Silke beim kritischen Sichten der Produktpalette.

Hat man etwas Passendes gefunden, will sich ein Stück näher anschauen oder etwas anprobieren, so ist sofort eine hilfsbereite, aber nie aufdringliche Chilenin zur Stelle. Auch wenn man ein Modell in einer anderen Farbe sucht, sollte man immer fragen, denn wie so oft in Chile, liegen im hinteren Bereich des Laden "versteckt" meist weitere Stücke und ein kleines, manchmal auch längeres Schwätzchen gehört hier wie überall einfach dazu.

Auch in den seitlichen Abzweigen und Innenhöfen herrscht dichtes Gedränge.

Neben den üblichen Geschäften gibt es auch spezielle Läden mit Kleidung der Huasos (chilenische Viehhirten), die für die Rodeos unerlässlich ist, aber auch an Sonn- und Feiertagen auf dem Land getragen wird. Für die Mädchen gibt es in einigen Läden zudem etwas ganz besonderes: gestrickte Barbie-Kleidung. In Deutschland waren diese laut Silke Anfang der 80er zwar auch zu haben (wohl eher von der Oma selbstgemacht und nicht gekauft) und es bleibt fraglich, ob die heute besser ankommen. Natürlich sind sie viel billiger als die original Barbie-Accessoirs und sicher ist eine ausreichend (!) große Auswahl an Kleidungsstücken auch für jede chilenische Puppe wichtig.

Barbie-Klamotten zum Sonderpreis, 2 "modisch hippe Outfits" für fast geschenkte 1500 Pesos.

Der gesamte Ort scheint traditionell stark in diesem Handwerk verhaftet und kaum jemand der 1000 Einwohner arbeitet nicht in der Herstellung oder dem Verkauf der Textilwaren. Aufgrund des unmittelbaren Konkurrenzkampfes sind die Waren vergleichsweise billig - das meiste liegt im Preis deutlich unter 10000 Pesos (14 Euro). So pilgern die Käufer, teils in Bustouren organisiert, in Scharen nach Valle Hermoso und shoppen dort schon fast "bis der Arzt kommt". Manche von ihnen tragen oder ziehen riesige Reisetaschen, die am Ende des Tages sicher mit allerlei Kleidung, wahrscheinlich für die ganze (Groß-)Familie, angefüllt sein werden.

Kein Einzelfall: Chilenen mit Koffern und Reisetaschen auf Shoppingtour.

Ökonomisch gesehen wäre es sicher sinnvoller die Läden besser über das Land zu verteilen, was in Chile aber sehr selten der Fall ist (auch in Santiago gibt es ganze Straßenzüge mit Läden ein und derselben Sparte) und natürlich ist die lokal fokussierte Textilindustrie die Haupteinnahmequelle und hat wesentlichen Anteil am wirtschaftlichen Wachstum der Gemeinde.
Wie schon erwähnt befindet sich eigentlich in fast jedem Haus des Dorfes ein Verkaufsraum, manchmal kaum mehr als ein aus Brettern zusammengezimmerter Kiosk, der im Winter sicher nur notdürftig beheizt wird, manchmal ein schlichter, recht großer Raum mit Wandregalen und langer Theke, der entfernt an Fabrikverkauf in Deutschland erinnert, manchmal aber auch ein nett und modern eingerichteter kleiner Laden, der schon fast Boutique-Charakter hat und so wundert es nicht, dass Silke gleich mehrfach fündig wurde. Neben einer braunen Strickjacke, die mit einer Holzfibel geschlossen wird und einem leinenartigen Kurzkleid/Langbluse, das man hier über einer Hose trägt, kaufte sie noch zwei "normale" Pullis und ist so für den kommenden Winter gut gerüstet.
Micha ließ sich auf die Frage einer Verkäuferin, ob er denn nichts gefunden hätte, und obwohl er es eigentlich vorher schon besser wusste, von dieser überreden eine als extragroß angepriesene Strickjacke zu probieren. Wie erwartet war diese aber trotzdem zu klein und die Ärmel viel zu kurz, was die Verkäuferin dann auch einsah. Kein Wunder bei einer Körpergröße von 1.93m, die sicher gut 15cm über dem Schnitt der chilenischen Männer liegt. So muss Micha eben im Juli wieder in Deutschland einkaufen.
Zumindest für Silke hat sich der Ausflug aber gelohnt und die Gemeinde La Ligua wurde ihrem Ruf als Textilhauptstadt Chiles mehr als gerecht. Da im Januar/Februar in La Ligua zudem die Feria de Tejidos (Textilmesse), inklusive Modenschauen, Workshops und verschiedener weiterer Events stattfindet, an der jährlich über 100 Hersteller aus der Region teilnehmen und ihre Produkte ausstellen, werden wir sicher noch einmal wiederkommen, um uns auch die Sommerkollektion anzuschauen.


Am frühen Nachmittag ging es dann zurück nach La Ligua, wo wir zunächst bei warmem Sonnenschein auf der Terrasse eines kleinen Lokals zu Mittag aßen und anschließend noch einen kleinen Rundgang durch den Ort machten, auf dem wir uns noch ein leckeres Eis kauften. Selbst am Samstagnachmittag war recht viel auf den Straßen und in den noch geöffneten Geschäften los. Insgesamt ist La Ligua aber eine chilenische Kleinstadt, wie so viele andere auch. Neben einer hübschen baumbestandenen Plaza, einer Kirche und einem kleinen Museum, das Stücke zur Archäologie der Gegend, zur Entwicklung der Stadt und dem Textilboom der Region ausstellt gibt es nicht viel Interessantes.
Einzig erwähnenswert sind vielleicht noch die Dulces de La Ligua, manjar (=Karamell) gefüllte Teilchen, die man an jeder Straßenecke kaufen kann, die gewissermaßen zur Identität des Ortes gehören und die weit über die Region hinaus bekannt sind. Nach traditionellen Rezepten stellen mehr als 20 Betriebe dieses Gebäck her und wetteifern miteinander um Qualität und besten Geschmack. Diesen Konkurrenzkampf kann man am besten auf dem nahe gelegenen Abschnitt der Ruta 5 beobachten, wo am Fahrbahnrand jeden Tag dutzende Frauen mit weißen Schürzen stehen und hektisch mit Tüchern winken um auf sich aufmerksam zu machen und aus abgedeckten Körben diese Süßigkeiten verkaufen. Für 1000 Pesos gibt es meist eine Tüte mit 6-8 Teilen: Alfajores, Meringe, Empolvados (im Puderzucker gewendete), Schillerlocken und Blätterteigstängchen, alles mit Manjar gefüllt, zuckersüß und keineswegs für die schlanke Linie. Da wir diese Leckereien schon früher probiert haben, verzichteten wir diesmal aber auf den Kauf, zumal Silkes neue Pullis ja nicht zu eng werden sollen.